Aus unserem BLOG Stefan Carsten, Zukunftsforscher und Stadtgeograf beim innocam.NRW Mobility Meeting 2024, im Interview • Oktober 2024

Im Interview: Drei Fragen an Dr. Stefan Carsten

Dr. Stefan Carsten ist der diesjährige Keynote Speaker für das innocam.NRW Mobility Meeting am 20. November 2024 in der Philharmonie Essen. Der Zukunftsforscher beschäftigt sich mit der Zukunft von urbanen Räumen und Mobilität um gegenwärtige Stadt-, Mobilitäts- und Lebenswelten zu hinterfragen und aufzudecken. Er ist beratend in unterschiedlichen Beiräten aktiv und tritt als Speaker in ganz Deutschland auf.

Bild: Stefan Carsten (c) Thomas Kamenar

Guten Tag Herr Carsten,

als Zukunftsforscher und Stadtgeograf beobachten Sie genau, wie sich das Mobilitätsverhalten der Menschen verändert. Mobilitätsverhalten ist jedoch immer von der vorhandenen Infrastruktur und dem Mobilitätsangebot abhängig. Wie gelingt es Ihnen Trends abzulesen, die das zukünftige Mobilitätsverhalten bestimmen werden und welche sind das?

Dr. Stefan Carsten: Mobilität ändert sich nicht aus sich heraus, sondern als Resultat gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Deshalb ist es als Zukunftsforscher mein zentrales Anliegen, die Rahmenbedingungen in den Umfeldern der Mobilität zu verstehen: So sind zum Beispiel die Geschlechterverhältnisse im Mobilitätsbereich noch immer auf männliche und weniger auf weibliche Bedürfnisse ausgelegt. Arbeits- und Raumstrukturen, die ein neues Verständnis von Wohnen, Arbeit und städtischen Räumen aufzeigen und damit Mobilität deutlich weniger in Routinen ablaufen lassen, als wir es traditionell gewohnt sind, sind ebenso wesentliche Faktoren. Weitere Rahmenbedingungen sind Ökologie, Energie und Konnektivität, bei denen die Batterie im Zentrum einer intelligenten Verknüpfung von Immobilien, Energie und Mobilität steht und dadurch Geschäftsmodelle für Anbieter und Verbraucher entstehen, die wenig mit klassischen Geschäftspraktiken im Mobilitätssektor zu tun haben. Hier zeigen sich Veränderungen, die auch die langfristige Transformation der Mobilität bestimmen werden. Die interessanten Entwicklungen passieren nun vor allem an den Rändern, beziehungsweise Nahtstellen dieser Umfelder, beispielsweise wenn gesellschaftliche Entwicklung räumlich wirksam werden, wie beim Trend zur Dezentralisierung durch autonome Konzepte, oder wenn neue Akteure in Branchen vorstoßen, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben.

Inwiefern kann die Automatisierung und Vernetzung von Verkehrsmitteln dazu beitragen, dass die Mobilitätsangebote den Mobilitätsbedürfnissen künftig besser entsprechen?

Dr. Stefan Carsten: Das ist in jedem Fall relevant und wichtig, weil durch neue Angebote überhaupt erst eine Mobilitätsnachfrage entsteht, die viel differenzierter und spezifischer ist als in der Vergangenheit. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass vor rund 20 Jahren fast keine der heutigen Mobilitätsangebote zur Verfügung standen. Es gab Privat-Auto, -Fahrrad, ÖPNV – und sonst? Durch den Zugang zu neuen Diensten, der sich durch neue Technologien und durch sich veränderte Infrastrukturen weiter verbessern wird, werden erst Bedürfnisse geweckt, von denen die Kunden gar nicht wussten, dass sie sie hatten. Deshalb fragen wir auch niemals die Menschen nach einem möglichen zukünftigen Verhalten. Niemand kann diese Frage beantworten, bis die Angebote tatsächlich vor der Haustür verfügbar sind, unabhängig davon, ob dies in der Stadt, im Vorort oder im ländlichen Raum der Fall ist.

Sowohl für Unternehmen als auch für Kommunen spielt Investitionssicherheit eine große Rolle. Fortschritt lässt sich demnach erst realisieren, wenn alle Beteiligten, also Nutzerinnen und Nutzer, Innovationstreibende sowie Umsetzerinnen und Umsetzer, Mehrwert erzielen können. Was gibt Ihnen Zuversicht, dass wir die Mobilitätswende auch in unsicherem wirtschaftlichen Klima meistern werden?

Dr. Stefan Carsten: Über Jahrzehnte war der Automobilsektor der zentrale Wohlstandstreiber in Deutschland und vielen anderen Ländern. Heute müssen wir konstatieren, dass viele Volkswirtschaften Deutschland in den gängigen Wohlstandsrankings überholt haben, weil sie verstanden haben, dass Mobilität – und nicht nur motorisierte und PKW-zentrierte Individualmobilität – im Einklang mit Lebens- und Aufenthaltsqualität zum wichtigen Standortfaktor geworden ist. Der Inbegriff einer intelligenten mobilen Gesellschaft beruht auf Flexibilität und Unabhängigkeit in einem vernetzten System. Diese Mobilität ist zudem nachhaltig und inklusiv, weil sie sehr viel differenziertere und kundenspezifischere Angebote zur Verfügung stellt, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Die wirtschaftliche Kraft der Mobilitätswende ist deshalb für mich unabhängig vom wirtschaftlichen Klima zu sehen, weil viele Voraussetzung dafür bereits gegeben sind. Andere – vor allem die Infrastrukturen – brauchen jetzt aber ein Update im Sinne des wirtschaftlichen Aufschwungs. Wir müssen mutig für eine Mobilitätswende eintreten, um im Wettbewerb der Städte und Volkswirtschaften die Zukunft nicht zu verspielen.

Vielen Dank für das Gespräch! Wir freuen uns Sie am 20. November persönlich in der Philharmonie in Essen begrüßen zu dürfen und sind gespannt auf Ihren Keynote Vortrag.

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