
Aus unserem BLOG • Von Dr. Ruprecht Anz, Bosch Engineering GmbH • Oktober 2024
Vom Assistenzsystem zur Automatisierung – Sicherheit durch effektive Kollisionsvermeidung
Für das Automobil werden seit mehreren Jahrzehnten diverse Fahrerassistenzsysteme angeboten, die in kritischen Situationen die Fahrerin oder den Fahrer unterstützen und so zu mehr Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Einige dieser Systeme, insbesondere Kollisionswarnsysteme, sind inzwischen für Neufahrzeuge in der EU gesetzlich vorgeschrieben. Seit mehr als 10 Jahren arbeitet Bosch mit mehreren Verkehrsbetrieben daran, die in der Automobilindustrie etablierte Technologie auch für Straßenbahnen verfügbar zu machen.
Schienenfahrzeuge haben einen sehr viel längeren Bremsweg und können, wenn es eng wird, nicht ausweichen. Umso mehr kann eine automatische Warnung auf Hindernisse hilfreich sein. Das Bosch Tram Forward Collision Warning System ist seit 2017 in Frankfurt am Main im Fahrgastbetrieb im Einsatz. Seitdem sind mehr als 3500 Systeme verkauft worden und in mehr als 40 Städten weltweit im Einsatz oder im Roll-out mit dem Ziel, mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu erreichen.
Das System basiert auf einer Kombination aus einem Radarsensor und einer Kamera. Die Kamera erkennt den Schienenverlauf und beide Sensoren erkennen vorher antrainierte Objekte. Ist das Objekt auf der Schiene, wird es zu einem Hindernis und abhängig von der Geschwindigkeit und der Entfernung zum Objekt wird eine Warnung an das Fahrpersonal ausgegeben. Reagiert das Fahrpersonal nicht auf die Warnung, dann kann eine automatische Bremsung eingeleitet werden.
Seit dem ersten Projekt im Jahr 2017 ist das System kontinuierlich weiterentwickelt worden. Vor allem an der Software, jetzt aber auch an der Hardware. Eine neue Sensorgeneration verspricht eine deutlich höhere Performance. Höhere Performance bedeutet hier höhere Zuverlässigkeit rechtzeitiger Warnungen auch bei höheren Geschwindigkeiten, mehr Objektklassen, generische Objekte bei gleichzeitig seltener auftretenden Fehlwarnungen.
Diese erhöhte Performance erlaubt es auch, andere Anwendungsbereiche im Schienenverkehrssektor über die Straßenbahn hinaus ins Blickfeld zu nehmen. Beispielsweise Assistenzsysteme für Rangierlokomotiven oder Gleisbaumaschinen. Ähnlich wie in der Automobilindustrie gibt es auch in der Eisenbahn die Diskussion, inwieweit Sensorsysteme die Sinne des Triebfahrzeugführenden ersetzen könnten und ein fahrerloses Fahren ermöglichen könnten.
In geschlossenen Systemen, wie beispielsweise bei etlichen U-Bahnlinien, gibt es das fahrerlose Fahren schon lange. Bei schneller fahrenden Zügen waren die Eingriffsmöglichkeiten des Menschen bei unvorhergesehen Hindernissen aufgrund des langen Bremsweges schon immer gering. In offenen Systemen, wenn man nicht alle Gleisanlagen einzäunen will, wird man für einen vergleichbar sicheren Betrieb ein System benötigen, dass erkennt, ob die Strecke frei ist.
Alle Assistenzsysteme, die bisher im Einsatz sind, werden unter Zulassungsgesichtspunkten als nicht sicherheitskritisch betrachtet, da sie das Fahrpersonal zwar unterstützen, aber nicht aus der Verantwortung entlassen. Systeme, die fahrerloses Fahren ermöglichen sollen, werden eine Sicherheitszertifizierung benötigen.
Bosch engagiert sich in mehreren öffentlich geförderten Forschungsprojekten, um sich an diese Herausforderung heranzutasten. Demonstratoren, die einzelne Betriebsprozesse darstellen, werden überall in der Welt gerade entwickelt. Die große Herausforderung der nächsten Jahre wird sein, eine wirtschaftliche Umsetzung für den regulären Betrieb zu realisieren.
Aus Bosch Sicht geht der Weg über die schrittweise Einführung von Assistenzsystemen und die schrittweise Automatisierung ausgewählter Prozesse, wie das Fahren im Depot, im Rangierbahnhof oder in Wendeschleifen. Nicht jeder dieser Einzelschritte stellt für sich einen überzeugenden Businesscase dar. Ob irgendwann einmal eine Straßenbahn fahrerlos durch eine belebte Fußgängerzone rollt, ist heute völlig offen.
Bildnachweis: Bosch Engineering GmbH