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Aus unserem BLOG • Von David Haberle, innocam.NRW • Juni 2024

Synergien für autonome Mobilität in Deutschland – Forschungsprojekt KOTAM resümiert Ergebnisse auf Abschlusskonferenz

Nach zwei Jahren fand am 6. Juni in Berlin die Abschlussveranstaltung des Projekts „Koordinierung der Testfelder Autonome Mobilität in Deutschland“ (KoTAM) in der Vertretung des Landes Niedersachsen statt. KoTAM wurde von den vier Landesregierungen Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens, Baden-Württembergs und der Hansestadt Hamburg ins Leben gerufen und untersuchte die Rolle der Testfelder in Deutschland für die Erprobung und den sicheren Einsatz von Technologien in der automatisierten und vernetzten Mobilität.

Mit KoTAM wird die Herstellung von Synergien aus den unterschiedlichen Entwicklungsschwerpunkten der Betreiber und zuständigen Bundesländer angestrebt. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Testfelder wurden verglichen, um die zentralen Herausforderungen und größten Potenziale für die automatisierte und vernetzte Mobilität in Deutschland zu sammeln. Ziel ist es, die Erfahrungen, die innerhalb der Testfelder gesammelt wurden, zu analysieren, zu bündeln und eine gemeinsame Wissensbasis zu schaffen.

Hintergrund

Ausgangspunkt für das Projekt war ein Beschluss der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen sowie der Freien und Hansestadt Hamburg auf der Verkehrsministerkonferenz vom März 2020, infolgedessen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrssystemtechnik mit der Koordinierung des Projekts KoTAM und der Erstellung eines Leitfadens beauftragt wurde.

Grundlegend für die Intention des Projekts ist die Feststellung, dass viele der größten Herausforderungen an die Zukunft der Mobilität mit automatisierter und vernetzter Mobilität (AVM) bearbeitet werden können. Dies sind Fragen der Sicherheit, des Umweltschutzes, des Komforts, des Fahrermangels, besonders im ÖPNV, und der verkehrlichen Anbindung an den ländlichen Raum.

Diese Veranstaltung bildete den Abschluss einer erfolgreichen Veranstaltungsserie, die von den Themenschwerpunkten Akzeptanz, Nutzer- und Betreibersicht, Safety und Security im Kontext von C-ITS-Diensten, Harmonisierung und Zertifizierung und Ländliche Mobilität geprägt war. Das Thema Ländliche Mobilität war Schwerpunkt bei der vorangegangenen Veranstaltung im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW in Düsseldorf, die in Zusammenarbeit mit innocam.NRW ausgerichtet wurde, nachzulesen in unserem Nachbericht.

Ausgangpunkt Testfeldmonitor

Um die Vielfalt der Testfelder und ähnlicher Aktivitäten sowie Forschungsvorhaben im Bereich des automatisierten und vernetzten Fahrens in Deutschland gesammelt, strukturiert und kategorisiert zur Verfügung stellen zu können, wurde bereits 2021 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) eine Online-Datenbank veröffentlicht. Das so genannte Testfeldmonitoring wurde in Zusammenarbeit mit dem DLR e. V. erarbeitet mit dem Ziel, Datenaustausch zu harmonisieren und Entwicklungsbedarfe aufzuzeigen. Hier können Sie die interaktive Internetseite einsehen.

Studienergebnisse

Den ersten Teil der Veranstaltung bildete die Ergebnispräsentation durch Lennart Asbach und Katharina Hartmann vom DLR. Aufbauend auf den Daten im Testfeldmonitor konnte das DLR Datenpakete sammeln, die in den Testfeldern erhoben wurden. Die abrufbaren Datenkategorien umfassten beispielweise Auswertungen zum automatisierten Fahren bei unterschiedlichen Witterungsbedingungen oder unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Da jedoch nicht immer eine Echtzeitverarbeitung vorlag, waren die Datensätze von sehr unterschiedlicher Qualität. Als zweite Säule wurden ergänzend Interviews mit den Testfeldbetreibern durchgeführt.

Insgesamt wurden bundesweit mehr als 40 Testfelder betrachtet, die meisten davon im öffentlichen Straßenraum und auf Wasserwegen, vier davon waren für den Bereich Schiene. Dabei wird in einigen Fällen bereits der regelmäßige Betrieb mit autonomen Fahrzeugen geprobt. Im Luftraum ist dies aus rechtlichen Gründen derzeit nicht möglich, weshalb kein Testfeld mit regulären Testflügen im Verkehrsträger Luft ins Projekt mitaufgenommen werden konnte.

Themenfelder

Dass auf unseren Straßen, Schienen und Wasserwegen erst sporadisch automatisierte Verkehrsmittel zu entdecken sind, liegt gemäß Erkenntnis aus dem Projekt zumindest nicht an der lückenhaften Gesetzgebung. Stattdessen wurden während der Veranstaltung verschiedene Gründe diskutiert, die ausschlaggebend für die zögerliche Markteinführung von AVM-Technologien sein könnten. Dazu zählen der hohe Investitionsbedarf, Unsicherheit bei der langfristigen Nutzbarkeit teurer Systeme und Unabwäg-barkeiten bei der Akzeptanz der Nutzer. Aber auch in der Forschung gibt es noch Lücken, sogenannte „white spots“, die das DLR im Zuge des KoTAM Projekts festgestellt hat. So sollte inhaltlich in Zukunft ein verstärktes Augenmerk auf die Bereiche intermodale Mobilität, Schienenverkehr und Logistik gelegt werden, da hier noch wenig bis gar keine vergleichbaren Testungen und Datenerhebungen vorliegen.

Digitalisierung in der Mobilität sollte vorangetrieben werden

Eines der aktuellen Potentiale, das identifiziert wurde, bezieht sich auf den Ausbau der digitalen Infra-struktur. Diese muss sich ähnlichen Herausforderungen und finanziellen Hürden stellen, wie dies auch bei der Entwicklung und Produktion von autonomen Fahrzeugen der Fall ist. Hier kann die Effizienz durch Projekte wie KoTAM erhöht werden, indem Synergien verstärkt genutzt werden.

Da Vernetzung – Fahrzeug zu Fahrzeug oder Fahrzeug zu Infrastruktur (V2X) – keine standardmäßige Voraussetzung für automatisierte Mobilität ist, weder bei den Fahrzeugen noch in der Gesetzgebung, wird häufig mit parallelen Systemen vernetzter und nicht vernetzter aber (teil)automatisierter Verkehrsmittel gearbeitet. Digitalisierte Mobilität sollte als Schlussfolgerung idealerweise flächendeckender gedacht und umgesetzt werden.

Empfehlung: Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle

Das DLR hob in seinen Ergebnissen insbesondere hervor, dass Testfeldaktivitäten auch zukünftig eine wichtige Rolle im Entwicklungsprozess der autonomen und vernetzten Mobilität spielen werden. Im Zentrum der Ergebnisse steht die Erkenntnis, dass der gezielte und koordinierte Austausch von Daten, Erfahrungen und Ergebnissen für die Entwicklung der AVM unerlässlich ist und Testfelder dabei eine wichtige Stufe für den Markteintritt spielen. Die vom Bund und den Ländern aufgebaute Testfeldinfrastruktur stelle eine wichtige Basis dar, um die Forschung und Entwicklung zu einem sicheren autonomen Regelbetrieb im Verkehr und den Rollout in der Fläche voranzutreiben. Ein weiterer Baustein für eine erfolgreiche Entwicklung der Technologie sei ein abgestimmtes und koordiniertes Vorgehen in Deutschland, damit u. a. die vorhandenen Potenziale genutzt, Synergieeffekte geschaffen und der erforderliche Wissenstransfer erfolgen kann. Ein klares Fazit aus der Studie: Die Einrichtung einer übergeordneten Koordinierungsstelle für öffentlich geförderte Testfelder bzw. Testfeldaktivitäten wird unbedingt empfohlen.

“Die Ergebnisse bestätigen unsere Eindrücke, dass eine zentrale Koordinierung absolut notwendig ist. Mit dem Abschluss des Projektes KoTAM ist der Weg deshalb noch nicht beendet. Jetzt heißt es, gemeinsam mit dem Bund, den Ländern, der Industrie und der Forschung weiterzuarbeiten, um eine nationale Koordinierungsstelle für Testfeldaktivitäten auf den Weg zu bringen. Diese Maßnahme wird dazu beitragen, die Autonome Mobilität in Deutschland voranzubringen, die Zusammenarbeit zwischen allen Partnerinnen und Partnern auszubauen und letztlich den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland zu stärken.“, fasste der Minister des Gastgeberministeriums Niedersachsen Olaf Lies es zusammen.

Podiumsdiskussion stellt wirtschaftliche Perspektive heraus

Der Minister diskutierte auf der anschließenden Podiumsdiskussion gemeinsam mit Senator Dr. Anjes Tjarks von der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (Freie und Hansestadt Hamburg), Amtschef Berthold Frieß, Ministerium für Verkehr (Baden-Württemberg), Benno Hense, Leiter des Referats VII B 1 Intelligente Verkehrs- und Transportsysteme, Urbane Logistik und automatisierte Mobilität im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (Nordrhein-Westfalen) sowie Henry Kuhle, Leiter der Fach-gruppe Koordinierungsstelle Vernetztes & Automatisiertes Fahren vom Verband der Automobilindust-rie und Prof. Dr. Meike Jipp, Bereichsvorständin für Energie und Verkehr des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V

Ein wichtiger Diskussionspunkt war die wirtschaftliche Perspektive der AVM für die deutsche Industrie. Laut Minister Lies ist in Deutschland noch keine klare Orientierung zur Zielrichtung der technologischen Entwicklung vorhanden, es sei aber notwendig die deutsche und europäische Wirtschaft gegenüber China und den USA zu positionieren. Wirtschaftspolitik und Verkehrspolitik müssen dabei zusammen gedacht und fokussiert werden, um verlässliche Rahmenbedingungen für Investitionen, auch aus der Privatwirtschaft, zu schaffen.

Amtschef Frieß ergänzte, dass Testfelder dabei eine wichtige Rolle spielen können, jedoch eine differen-ziertere Außendarstellung die gezielte Auswahl und Ansprache durch die Industrie möglich machen muss. Der Begriff des „Testfelds“ sei aus Sicht von Henry Kuhle in diesem Kontext nicht ideal gewählt, da es in letzter Instanz um skalierbare Perspektiven und Anwendungen ginge.

Benno Hense betonte als Vertreter für NRW auch die Relevanz der Zusammenarbeit mit Kommen, allein NRW kommt dabei auf 400, die oft auf sehr heterogenen Wissensstufen stehen. Das vorhandene Wissen und die Erfahrungen der Kommunen müssen mehr ausgewertet und transferiert werden. Wenn es um eigene Investitionen im Bereich AVM geht, benötigen Kommunen vor allem Verlässlichkeit bei den Rahmenbedingungen und Technologien, Als weitere Themenfelder die mehr Aufmerksamkeit ver-dienen, führte Hense den „white spot“ Logistik, besonders im urbanen Raum und den Einbezug von Radfahrenden und zu Fußgehenden in die vernetzte Mobilität aus.

Auch vom Vertreter aus Hamburg Dr. Anjes Tjarks war bestätigend zu hören, dass man sich vom Bund mehr Koordinationseinsatz wünsche. Das Thema sollte weiter nach Europa getragen und die Testfelder langfristig mehr von der Wirtschaft genutzt werden. Testanwendungen und ein bundesweiter Erfahrungsaustausch böten dafür eine sehr gute Grundlage.

Handlungsempfehlungen und Erfahrungen aus Industrie, Wissenschaft und Verkehrsunternehmen

Am Nachmittag schloss die Veranstaltung mit einer Vorstellung konkreter Handlungsempfehlen unter Einbeziehung verschiedener Perspektiven von Industrie-, Wissenschafts- und Betreiberseite ab. Auf der Bühne waren Leutrim Mustafa von consider it, Dr. Walter Naumann von der ETO-Gruppe, Dr. Lukas Block vom Fraunhofer IAO, Dr. Dr. Hans Steege von der Universität Stuttgart, Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht, Ralf Reineke vom Innovationsraum Erzgebirgsbahn, Dr. Alexander Viehl vom FZI Forschungszentrum Informatik und Wolfgang Weiß vom Karlsruher Verkehrsverbund.

Aus Sicht der Industrie, vermittelt durch unter anderem Leutrim Mustafa und Dr. Walter Naumann ist besonders die Erprobung unter unterschiedlichen Bedingungen, beispielsweise ländlicher und urbaner Raum oder mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsbegrenzungen ein Erfolgsfaktor. Gleichzeitig wurde die kostengünstige Nutzung der Testfelder als sehr positiv herausgehoben.

Dr. Lukas Block stellte dar, dass viele der zentralen Herausforderungen im Bereich des automatisierten und vernetzten Fahrens systemische Hürden sind, d.h. Herausforderungen, die ein koordiniertes Wertschöpfungsnetzwerk an Akteuren zur Bewältigung benötigen. Er unterstrich das Fazit des DLR, das den Bedarf an einer nationalen Koordinierungsstelle als neutraler Mittler zwischen Industrie, öffentlicher Hand und Forschung herausgehoben hatte.

Aus rechtlicher Sicht bleiben die Anforderungen für Testfelder herausfordernd, da sie sich kaum vereinheitlichen lassen, erklärte Dr. Dr. Hans Steege in seiner Präsentation. Eine bundesweit einheitliche Koordinierung, beispielsweise für die Bereiche Datenschutz und Datensicherheit, wäre daher zu begrüßen. Diese Erkenntnis deckt sich auch mit dem Feedback zum von innocam.NRW durchgeführten Workshop, der den Bedarf der Akteure in NRW nach Informationen zur DSGVO mit Bezug zur AVM aufgegriffen hatte.

Aus Betreibersicht gehört die Verknüpfung von Technologie und Ausbildung ebenfalls in den Wirkungsbereich der Testfelder. Neue Technologien erfordern neue Kompetenzen, die beispielsweise in Reallaboren als ganzheitliches Know-How von heute und morgen vermittelt werden können, wie Ralf Reineke vom Innovationsraum Erzgebirgsbahn hervorhob.

Wolfgang Weiß vom Karlsruher Verkehrsverbund sprach sich deutlich für den Einbezug von Bürger:innen schon beim Aufbau der Testfelder aus, zum Beispiel durch Bürgerforen und eine Konferenzreihe. Das aktive Erleben und Erfahren der Möglichkeit der AVM bieten eine Chance, langfristig Akzep-tanz in der Bevölkerung zu steigern. Das Thema wurde in einer vorangegangenen KoTAM-Veranstaltung noch ausführlicher diskutiert, lesen Sie dazu bei Interesse unseren Blog-Beitrag oder laden Sie sich unsere Studie zum Stand der Akzeptanzforschung herunter, die wir im letzten Jahr veröffentlichen konnten. Das Konsortium von innocam.NRW beschäftigt sich kontinuierlich mit dem Thema Akzeptanz und ist immer an einem inhaltlichen Austausch interessiert – schreiben Sie uns gerne an!

Zusammenfassung

Das Projekt KoTAM hat gezeigt, dass nationale und europäische Lösungen sowie eine stärkere Einbindung von Wirtschaft und Kommunen notwendig sind, um die automatisierte und vernetzte Mobilität voranzutreiben. Der politische Wille, dieses Thema weiterzuführen, ist vorhanden, wie auch die Verkehrsministerkonferenz bestätigte. Testfelder dienen als Forschungs- und Erprobungsorte, fördern Akzeptanz und bieten Lernmöglichkeiten für den Betrieb. Der Erkenntnistransfer in die Praxis muss jedoch verbessert werden. Dabei ist eine bundesweite Koordinierung der Aktivitäten und Erkenntnisse zwingend erforderlich. Langfristiger Betrieb und Roll-Out sollten stärker fokussiert werden. Nach Abschluss der Veranstaltung wurde der Leitfaden durch das DLR an die vier Länder übergeben und soll im Laufe des Jahres veröffentlicht werden.

Sprechen Sie uns bei Fragen oder zum Austausch zu aktuellen Fragestellungen gerne an. Sie erreichen uns unter info@innocam.nrw.