Im Rahmen dieses Pilotprojekts operieren zunächst fünf NIO ES8-Fahrzeuge, ausgestattet mit SAE Level-4-Technologie von Mobileye, in einem klar begrenzten Testgebiet von rund 20 km² in Groruddalen. Diese selbstfahrenden Fahrzeuge erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h und wurden unter realen Bedingungen getestet – mit Sicherheitsoperatoren, mit dem langfristigen Ziel, vollständig fahrerlos zu operieren. Die erhobenen Daten umfassen über 9.000 Fahrstunden, mit dem Zweck, die Systeme an die nordischen Umwelt- und Verkehrsbedingungen anzupassen. Laut Ruter sind bis zum Ende des Pilotzeitraums Ende 2025 bis zu 15–20 Fahrzeuge im Einsatz.
Die autonomen Systeme kombinieren eine Vielzahl von Sensoren, darunter LiDAR, Radar, hochauflösende Kameras, Inertialmessgeräte (IMU) und GNSS-Empfänger für präzise Positionsbestimmung.
Die perzeptive Softwarearchitektur verwendet einen Map-based-Perception-Ansatz: Fahrzeuge greifen auf validierte, hochauflösende 3D-Karten zu, die statische Hindernisse, Straßeninfrastruktur, Terrain und dynamisch relevante Verkehrsinformationen enthalten. Diese Karten werden kontinuierlich durch Sensordaten aktualisiert und ermöglichen sowohl präzises Lokalisationstracking als auch prädiktive Fahrentscheidungen.
Für Winterbedingungen wurden die Sensorkalibrierung, Fahrzeugregelalgorithmen und Antriebssteuerungen angepasst. Dies betrifft insbesondere:
- Objekterkennung im Schnee, einschließlich fallender Schneeflocken, Schneehaufen und Glätte auf der Fahrbahn.
- Adaptives Fahrverhalten, z. B. dynamische Anpassung von Geschwindigkeit, Bremsweg und Lenkparametern.
- Sensorreinigung und redundante Sensorik, um Ausfälle durch Eis, Schnee oder Salz zu verhindern.
Die Fahrzeuge nutzen ein Vehicle-to-Infrastructure (V2I) und Vehicle-to-Cloud (V2C) System, das Echtzeitdaten zu Verkehr, Straßenzustand, klassifizierten Verkehrszeichen, Straßenmarkierungen, Hindernisse, Fußgänger und den Fahrzeugstatus an eine zentrale Flottenmanagementplattform überträgt. Diese Plattform analysiert KPIs wie autonome Fahrquote, PUDO-Abdeckung („Pickup and Drop-off Points“, PUDOs), Systemverfügbarkeit und Passagierzufriedenheit (NPS) und ermöglicht gezielte Optimierungen.
Die Fahrzeuge erkennen und klassifizieren Verkehrszeichen, Straßenmarkierungen, Hindernisse und Fußgänger in Echtzeit.
Regulatorische Rahmenbedingungen & Sicherheitsbetrieb
Der Genehmigungsprozess für den Betrieb der autonomen Fahrzeuge erfolgte in enger Abstimmung mit der norwegischen Straßenverwaltung (NPRA). Die Fahrzeuge wurden registriert und erhielten Testfreigaben für bestimmte Routen innerhalb des definierten Gebiets. Sicherheitsoperatoren waren in den Fahrzeugen präsent, um die Funktionalität und Sicherheit zu überwachen; langfristig ist vorgesehen, vollständig auf das Personal im Fahrzeug zu verzichten und vollständig autonome Operationen zu ermöglichen.
Die Fahrpolitik – also die Regeln für Geschwindigkeit, Bremsverhalten und Steuerung – wurde so konzipiert, dass sie dynamisch auf wechselnde Straßen- und Wetterbedingungen reagiert. Insbesondere in den nordischen Wintern ist eine automatische Anpassung der Systeme essenziell, und das Pilotprojekt hat gezeigt, dass Echtzeit-Anpassungen in den Algorithmen notwendig sind, um Sicherheit und Komfort zu gewährleisten.
Nutzerzentrierung, PUDO-Optimierung und Bedeutung für die Gesellschaft
Ein zentrales Element des Projektes ist die Gestaltung von Abhol- und Bringpunkten („Pickup and Drop-off Points“, PUDOs). Im Testgebiet wurden rund 50 PUDOs ausgewählt, basierend auf Faktoren wie Nutzerdichte, Verkehrssicherheit und Erreichbarkeit. Im weiteren Verlauf wurde die Anzahl auf etwa 135 PUDOs erhöht, wodurch laut dem Projektpartner Ruter 92 % der Anwohnerinnen und Anwohner und 71 % der Beschäftigten des Gebiets erreicht werden können.
Darüber hinaus wurde die Nutzerakzeptanz systematisch untersucht: Forschungsteilnehmende betonten die Wichtigkeit, nicht nur technikaffine „Early Adopter“, sondern möglichst breite Bevölkerungsschichten einzubinden. Sicherheitsbedenken – insbesondere von Frauen – sowie Anforderungen an Barrierefreiheit wurden identifiziert, um das Angebot inklusiv zu gestalten.
Die Leistungsüberwachung erfolgte auf der Basis definierter KPIs (Key Performance Indicators), darunter die autonome Fahrquote, die Systemverfügbarkeit und die PUDO-Abdeckung innerhalb bestimmter Fußwege. Zudem wurde ein Net Promoter Score (NPS) genutzt, um die Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer zu messen.
Potenziale für Umwelt und Gesellschaft
Ein wichtiger Treiber für das Projekt ist die Nachhaltigkeit: Der Projektpartner Ruter sieht in autonomen Fahrzeugen ein Mittel zur Reduktion des Individualverkehrs. Eine Flotte von 30.000 selbstfahrenden Fahrzeugen in Oslo hätte das Potenzial, bis zu 600.000 private Autos zu ersetzen. Dadurch könnten erhebliche Umwelt- und gesellschaftliche Vorteile entstehen: Es würden Flächen in der Größenordnung von 25 Ekeberg-Parks (ca. 625 Hektar insgesamt) frei, weil weniger Platz für Parken und Verkehr benötigt würde. Zudem ließen sich jährlich rund 312.000 Tonnen CO₂ einsparen. Gleichzeitig bestünde die Möglichkeit, bisher genutzte Parkflächen in öffentliche Räume umzuwandeln und damit den städtischen Raum für alternative Nutzungen zurückzugewinnen.
Partner
Im Projekt übernehmen verschiedene Partner jeweils klar definierte Rollen. NIO fungiert als Fahrzeughersteller und ist verantwortlich für die Lieferung der Fahrzeuge, für Wartungsverträge sowie für einen lokalen Ansprechpartner/eine lokale Ansprechpartnerin für alle fahrzeugbezogenen Belange. Mobileye tritt als Anbieter des digitalen Fahrers auf. Das Unternehmen entwickelt und liefert das digitale Fahrsystem inklusive eines ES8-E retrofit mit Sensoren und Systemen wie Lidar, Radar und Kameras. Zudem übernimmt Mobileye die Datenerfassung, -verteilung und -validierung, führt laufende Routenanpassungen durch und stellt unterstützende Werkzeuge für die Fahrzeuge bereit.
Holo ist als Betreiber und Implementierer tätig. Dazu gehören Fahrzeug- und Routenzulassungen, die operative Vorbereitung, Planung und Durchführung des Betriebs sowie die Verantwortung für Sicherheitsprofil und Betriebssicherheit. Holo übernimmt außerdem die tägliche Aufsicht und Fernsteuerung, liefert operative Intelligenz und führt Datenanalysen durch. Ruter vertritt den Bereich des öffentlichen Verkehrs und ist Anbieter sowie Eigentümer der Dienstleistung. Ruter ist zuständig für die Gestaltung der Kundenerfahrung, die Definition von Routen und Gebieten, die Verwaltung von PUDO-Punkten (Pick-Up/Drop-Off), die Preisgestaltung sowie das Marketing des Dienstes.
Moovit bildet die Kundenschnittstelle über eine App. Das Unternehmen ermöglicht Reisebuchungen, verwaltet die Aufträge, führt Änderungen durch, unterstützt die Koordination mit dem Fahrzeug und bietet direkte Integrationen zum Fahrzeug an. Schließlich nehmen die Passagiere die Rolle der Nutzenden ein. Sie verwenden die selbstfahrenden öffentlichen Verkehrsdienste, liefern Rückmeldungen über ihre Fahrten und unterstützen die technologische Weiterentwicklung.
Herausforderungen & Lessons Learned
Das Projekt stand vor mehreren technischen, organisatorischen und regulatorischen Herausforderungen. Die winterliche Umgebung in Oslo erwies sich als besonders anspruchsvoll: Sensoren wie Kameras und LiDAR mussten regelmäßig gereinigt werden, um zuverlässig Objekte wie fallenden Schnee oder Schneehaufen zu identifizieren. Zudem waren Anpassungen der Fahrstrategie nötig, um ein sicheres Verhalten bei Glätte zu gewährleisten.
Die dynamische Anpassung des Fahrverhaltens – etwa bei Geschwindigkeit oder Bremsweg – zeigte sich als zentral für die Performance und Sicherheit. Ein weiterer bedeutsamer Aspekt ist die Skalierbarkeit: Die Frage, wie man von fünf zu bis zu 15–20 Fahrzeugen kommt, erfordert ein solides Betriebsmodell, einschließlich Wartung, Sicherheitsmanagement und Skalierung der PUDO-Infrastruktur.
Der Genehmigungsprozess unterstreicht die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit Regulierungsbehörden: Nur so lassen sich sichere Testbedingungen etablieren – und mittelfristig die vollständige Entfernung von Sicherheitsoperatoren im Fahrzeug erreichen. Auch die Nutzerakzeptanz bleibt ein Schlüsselfaktor: Technologien müssen nicht nur technisch funktionieren, sondern auch gesellschaftlich angenommen werden, insbesondere von Gruppen, die möglicherweise skeptisch sind oder spezifische Zugangsanforderungen haben.
Ausblick & Perspektiven
Mit dem Abschluss des Pilotzeitraums im Jahr 2025 und dem potenziellen weiteren Betrieb bis ins Jahr 2026 (so von Ruter angedacht), eröffnet sich ein wichtiger nächsten Schritt: die Skalierung eines autonomen On-Demand-ÖPNV-Angebots in und um Oslo. Langfristig ist eine Integration solcher autonomen Dienste in das reguläre ÖPNV-Angebot denkbar, was zu einer multimodalen Mobilitätsstrategie führen würde, bei der autonome Fahrzeuge eine selbstverständlichere Rolle übernehmen.
Die gewonnenen Betriebserfahrungen, Sicherheitsbewertungen und Nutzerfeedbacks bieten eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, insbesondere in Bezug auf Kosteneffizienz, Flottengröße und Preisstrategien.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Fortsetzung der technologischen Optimierung, vor allem für extreme Wetterbedingungen. Die erfolgreiche Implementierung vollständig fahrerloser Fahrzeuge würde den Weg zu einem ökologischeren, flexibleren und bedarfsorientierten ÖPNV ebnen – mit Potenzial für globale Übertragbarkeit.
Nicht zuletzt liefert das Projekt auch Impulse für die Regulierungslandschaft: Die Zusammenarbeit mit nationalen Behörden könnte als Modell für zukünftige Zulassungsprozesse autonomer Mobilitätsdienste dienen. Wenn regulatorische und technische Rahmenbedingungen in anderen Städten und Ländern adaptiert werden, kann dieser Ansatz zur nachhaltigen Transformation urbaner Mobilität beitragen. Auch eine koordinierte europäische Initiative könnte helfen, ein nachhaltiges und integriertes Mobilitätsmodell zu entwickeln.