Der Forschungsverbund „ErNeSt – Automatisierte Erfassung neuer Straßenschäden“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Überwachung des Straßenzustands effizienter, präziser und kostengünstiger zu gestalten. Denn der Zustand von Fahrbahnoberflächen beeinflusst nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern auch den Fahrkomfort sowie den Fahrzeugverschleiß. Insbesondere neu auftretende Schäden wie Schlaglöcher oder Spurrillen verursachen hohe Instandhaltungskosten – umso wertvoller ist eine frühzeitige Erkennung. Aus diesem Grund entwickelt das Institut für Fahrerassistenz und vernetzte Mobilität (IFM) der Hochschule Kempten gemeinsam mit der monalysis GmbH ein innovatives Verfahren, das verschiedenste Sensordaten kombiniert, um Straßenschäden automatisiert zu erfassen. ErNeSt wird über das mFUND gefördert, eine Innovationsinitiative des Bundesministeriums für Verkehr (BMV) mit einer Laufzeit vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2025.
Technologisches Konzept
Technisch basiert ErNeSt auf einem multimodalen Messsystem: Aus Beschleunigungsdaten, welche in einem Linienbus erfasst werden, lassen sich erste Hinweise auf problematische Fahrbahnabschnitte gewinnen. Diese Idee greift das Projekt aus einem früheren Vorhaben namens „ERST“ wieder auf. Sobald aus den Bewegungsmustern potenzielle Defekte erkannt werden, wird mittels Bilderkennung der exakte Schadenstyp – beispielsweise Schlagloch oder Riss – bestimmt. Um eine belastbare Verifikation dieser Klassifizierung zu erreichen, werden zusätzlich 3D-Daten herangezogen: In einem zusätzlichen Pkw-Versuchsfahrzeug besitzt das Messsystem neben Beschleunigungssensoren und Kameras ein LiDAR-System, mit dem die Oberfläche dreidimensional erfasst wird. Alle gewonnenen Messwerte – Beschleunigungen, Bilder, LiDAR-Punktewolken – werden unter Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben in umfangreichen Testfahrten gesammelt, übertragen und zentral analysiert.
Für die Auswertung wird moderne KI eingesetzt: Machine-Learning-Algorithmen werten die Bilder aus, um verschiedene Schadensarten zu unterscheiden und effiziente Algorithmen verarbeiten Beschleunigungs- und 3D-Daten, um eine zuverlässige Zustandsbewertung zu ermöglichen. Der so ermittelte Straßenzustand wird anschließend in Form digitaler Karten visualisiert und über ein anwenderfreundliches Ausgabetool bereitgestellt, mit dem insbesondere Kommunen und Städte reparaturbedürftige Abschnitte schnell identifizieren können. Parallel zu diesem technischen System erarbeitet das Projekt auch ein Geschäftsmodell, das zeigen soll, wie Kommunen dauerhaft, einfach und bezahlbar ihre Straßenzustände überwachen können.
Projektpartner
Das Projekt ErNeSt wird von der Hochschule Kempten geleitet, mit Prof. Dr. Ulrich Göhner als wissenschaftlichem Leiter. Partner im Kernkonsortium ist die monalysis GmbH in Kempten, die insbesondere für die Datenanalyse und KI-Komponenten zuständig ist. Als assoziierte Partner sind unter anderem die Haslach Bus GmbH beteiligt, die in Kempten auch Linienverkehre betreibt und ihre Busse für den Einbau der Messeinrichtungen zur Verfügung stellt, sowie die Stadt Kempten und das Landratsamt Oberallgäu, die als Anwenderpartner mitwirken, um die Ergebnisse auf kommunaler Ebene nutzbar zu machen. Darüber hinaus stehen Vertreter von Tiefbauämtern, der Bundesanstalt für Straßenwesen und weiteren Forschungseinrichtungen in engem Austausch.
Lessons Learned
Im Projekt wurde deutlich, dass die Inbetriebnahme von LIDAR-Systemen sehr zeitintensiv ist und stark auf äußere Einflüsse wie Wetterbedingungen und Fahrdynamik reagiert. Die Integration verschiedener Fahrzeugsensoren – etwa CAN, GPS und IMU – erwies sich als komplex und nur begrenzt skalierbar. Zudem führten die sehr großen Datenmengen zu erheblichem Aufwand bei Verarbeitung und Handling. Eine weitere Herausforderung bestand darin, dass es bislang keine einheitlichen kommunalen Standards gibt, sodass sich die Anforderungen an die notwendige Datentiefe stark unterscheiden und von grob strukturiert bis hochpräzise reichen.
Gleichzeitig konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. So liefert die Kamera zuverlässige und stabile Daten, selbst ohne zusätzliche Beleuchtung. Durch Datenfusion lassen sich Redundanzen reduzieren und konsistente Ergebnisse erzielen. Die eingesetzte KI arbeitet grundsätzlich zuverlässig, erfordert jedoch getrennte Modelle für die Erkennung von Fahrbahnmerkmalen und Schäden. Abschließend zeigte sich, dass standardisierte Datenformate Kommunen und Projektpartnern erheblich bei der Nutzung und Weiterverarbeitung der Daten helfen würden.
Ausblick und nächste Schritte
Die Verwertung der Projektergebnisse bietet einen deutlichen Mehrwert für verschiedene Zielgruppen. Für Kommunen entstehen neue Grundlagen für die Entwicklung kommunaler Standards. Zudem erhalten sie aktuellere und objektivere Straßendaten, die eine stärker datenbasierte Erhaltungsplanung ermöglichen.
Auch die Forschung profitiert unmittelbar von neuen Datensätzen, die insbesondere für KI-Methoden, Datenfusion und Registrierungsverfahren relevant sind. Darüber hinaus ergeben sich neue Erkenntnisse für die Weiterentwicklung erklärbarer KI (XAI).
In Ergänzung dazu ermöglichen digitale Zwillinge die Übertragung der im Projekt gewonnenen Ansätze auf weitere thematisch verwandte Bereiche.
Ein weiterer zentraler Bestandteil der Verwertung ist die Bereitstellung der Daten über Daten.Plus und den ZEB-Server (ZEB - Zustandserfassung und -bewertung). Über Daten.Plus werden die fusionierten Straßendaten als OpenCRG-ähnlicher digitaler Zwilling (OpenCRG-Strukturen beschreiben Straßenoberflächen im Format Curved Regular Grid (CRG)) verfügbar gemacht, sodass sie frei für Forschungszwecke und kommunale Anwendungen genutzt werden können. Zusätzlich werden die ErNeSt-Daten in das mFUND-Ökosystem – beispielsweise in die Mobilithek – integriert, um deren Weiterverarbeitung, Visualisierung und Analyse zu ermöglichen.
Der ZEB-Server bietet die ErNeSt-Daten darüber hinaus in ZEB-kompatiblen Formaten an, etwa zur Georeferenzierung, zur Definition von Bewertungsabschnitten oder zur Beschreibung von Substanzmerkmalen nach AP9 (noch nicht veröffentlichte, aber in Arbeit befindliche Arbeitspapiere zur Systematik der Straßenerhaltung für Kommunen). Die Daten können in bestehende ZEB-Infrastrukturen eingespielt werden, sodass vorhandene Auswerte- und Visualisierungstools genutzt werden können. Gleichzeitig schaffen sie eine wichtige Grundlage für die zukünftige Standardisierung der kommunalen Datenerfassung.