Aus unserem BLOG • Von TÜV Rheinland • August 2022
Automatisierte Mobilität – TÜV Rheinland setzt neue Standards bei Prüf-, Test- und Zertifizierungs-verfahren
Selbstfahrende Fahrzeuge, in Echtzeit ablaufende Vehicle-to-Everything-Kommunikation (V2X), umweltschonende und sichere Fortbewegung ohne Staus: Die fortschreitende Digitalisierung sowie veränderte Antriebskonzepte werden die Mobilität grundlegend verändern. Prüfdienstleister müssen schon heute darauf reagieren. Mit Konzepten, Verfahren und Einrichtungen, die den veränderten Sicherheitsanforderungen zunehmend automatisierter Verkehrsströme gewachsen sind.
Noch ist die hochautomatisierte und vernetzte Mobilität eine Vision. Doch die Weichen sind gestellt, die nötigen Basistechnologien entwickelt. Dazu zählen nicht nur intelligente Bauteile und Steuerungseinheiten, sondern auch die schrittweise Einführung des 5G-Standards. Er ist Voraussetzung für den Aufbau zuverlässiger Kommunikationsnetze, die die anfallenden riesigen Datenmengen unterbrechungsfrei und in Echtzeit mit Latenzen von weniger als einer Millisekunde übertragen können.
Eine Stufe hin zur Mobilität der Zukunft mit mehr Verkehrssicherheit, weniger Umweltbelastungen sowie einer effizienteren Personen- und Güterbeförderung ist schon heute erreicht: die Ausstattung von Pkw und anderen Kraftfahrzeugen mit Fahrassistenzsystemen und Einrichtungen für teilautomatisiertes Fahren. So finden etwa Geschwindigkeits- und Notbrems- oder Rückfahr- sowie Spurhalteassistenten immer mehr Verbreitung. Überdies sind diese Systeme ab diesem Jahr EU-weit für die Typgenehmigung bestimmter Kraftfahrzeugklassen und ab 2024 für alle Neuzulassungen vorgeschrieben.
TÜV Rheinland untersucht Zuverlässigkeit von Fahrassistenzsystemen im Langzeitbetrieb
„Fahrassistenzsysteme erhöhen zweifellos die Verkehrssicherheit, doch müssen sie regelmäßig gewartet und kontrolliert werden“, erklärt Rico Barth, Leiter des globalen Geschäftssegmentes Connected and Automated Mobility bei TÜV Rheinland. „Die Verlässlichkeit muss sich über die gesamte Lebensdauer eines Fahrzeugs erstrecken. Deshalb haben wir komplexe Untersuchungen zur Langlebigkeit der Systeme durchgeführt“, so der TÜV Rheinland-Experte für vernetztes und automatisiertes Fahren. Zusammengefasst wurden die Ergebnisse in einer vom TÜV Rheinland und dem britischen Transport Research Laboratory im vergangenen Jahr herausgegebenen Studie. Demnach könnten ohne kompetente Wartung im Jahr 2029 allein ungenügend funktionierende Spurhalteassistenten für 790.000 Risikoereignisse in der Europäischen Union verantwortlich sein, bei denen Fehler im System die Leistung mindern. Hauptursachen dürften alterungsbedingter Verschleiß, nicht Hersteller-konforme Reparatur nach Unfällen oder mangelhafte Kalibrierung der Kamerasysteme etwa beim Austausch von Windschutzscheiben sein. Bezogen auf weitere Assistenzsysteme könnten die gesamten Fehlfunktionen EU-weit jährlich gar bis zu 2,3 Millionen Risikoereignisse auslösen, so die Studie weiter.
Realistische Erprobung nur auf hochmodernen Testarealen möglich
Solcherlei Erkenntnisse gewinnt man nicht nur in Laborversuchen. Erst Tests unter Alltagsbedingungen helfen, möglichen Schwachstellen auf die Spur zu kommen und die Sicherheit der Systeme weiter zu verbessern. „Dafür schicken wir modifizierte Fahrzeuge auf unsere speziellen Teststrecken“, erklärt Rico Barth. „Die Fahrzeuge sind mit künstlich gealterten Komponenten ausgestattet, oder wir simulieren Beschädigungen an Systembauteilen und testen sie in unterschiedlichen Topographien auf geraden und kurvigen Strecken in komplexen Szenarien, die das Fahren in der Stadt ebenso abbilden wie das auf Autobahnen. Aufgrund der vorhandenen kompletten Infrastruktur der Testareale erhalten wir realitätsnahe und reproduzierbare Ergebnisse.“
Dafür bedarf es eines speziellen Testumfeldes. Mit der Beteiligung als Kooperationspartner nutzt TÜV Rheinland diverse Teststrecken Europas und auch weltweit. Dazu gehört unter anderem der ZalaZone Automotive Proving Ground am ungarischen Plattensee und das Aldenhoven Testing Center der RWTH Aachen zwischen Köln und Aachen. Auf beiden Strecken lassen sich neben konventionellen Fahrzeugtests vor allem realistische Erprobungen von Fahrassistenzsystemen, teilautomatisiertem Fahren und selbstfahrenden Autos mit Künstlicher Intelligenz sowie der V2X-Verkehrsvernetzung durchführen. „Das macht uns auch zu einem idealen Partner von Automobilherstellern und Zulieferern, die wir während der Entwicklung neuer Technologien, der Zertifizierung der Komponenten bis zur Homologation unterstützen können“, erläutert Rico Barth. „Hinzu kommt, dass wir hier Prüfverfahren für das sichere automatisierte Fahren entwickeln können, aus denen sich dann beispielsweise auch Anforderungen an künftige sicherheitsrelevante Tests und Prüfungen von selbstfahrenden Fahrzeugen ableiten lassen.“
Nordrhein-Westfalen – Standort für bahnbrechende Entwicklungen
Bei der Entwicklung und Zertifizierung neuer Technologien ist TÜV Rheinland als Partner an zahlreichen Projekten beteiligt. Auch in Nordrhein-Westfalen, das nach dem Willen der Landesregierung Vorreiter in Sachen automatisierter und vernetzter Mobilität werden soll.
Zu diesen Projekten gehört auch die Entwicklung von Teleoperationsverfahren, die die Fernsteuerung (Remote-Steuerung) von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr möglich macht und bei dem TÜV Rheinland den Technologiekonzern Rheinmetall als Sachverständiger unterstützt. Zielgruppen für die MIRA-Technologie genannte Innovation sind Unternehmen aus der Logistik- und Transportbranche. So können beispielsweise Sharing-Fahrzeuge bedarfsgerecht zu- und rückgeführt werden oder Nahverkehrsbetriebe ihre Fahrzeuge von einem zentralen Fahrstand aus steuern. Derzeit wird ein Pilotprojekt im öffentlichen Straßenverkehr im Industriehafen der Landeshauptstadt durchgeführt.
Ein weiteres Projekt feierte im Juni vergangenen Jahres Deutschlandpremiere: Ein von dem chinesischen Unternehmen Neolix gebautes Kleinfahrzeug ist das erste hierzulande autonom fahrende E-Mobil. Das auf den Namen „Bobby“ getaufte Auto fährt zu Testzwecken auf dem Campusgelände der Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (DVV). Ausgerüstet mit Warnleuchten, Lautsprechern und Sicherheitstechnik sowie 15 Sensoren und fünf Kameras navigiert Bobby absolut eigenständig. Nach Abschluss der Testphase hat TÜV Rheinland ein Gutachten erstellt. Danach soll es die Sicherheitsabteilung des Duisburger Dienstleistungskonzerns unterstützen und nachts autonom Streife fahren.
Auch an einem ÖPNV-Projekt ist TÜV Rheinland als Kooperationspartner beteiligt. Dabei handelt es sich um mit Ökostrom angetriebene und automatisiert fahrende Kleinbusse in der Stadt Monheim am Rhein. Nach aufwendigen Tests durch TÜV Rheinland rollt hier seit Februar 2020 die erste autonome Busflotte Deutschlands durch die Straßen. Insgesamt fünf Fahrzeuge mit Platz für jeweils bis zu zwölf Passagieren verbinden an sieben Tagen die Woche im 15-Minuten-Takt die Stadtmitte mit der Altstadt. TÜV Rheinland zeichnet bei diesem Projekt vor allem für die Sicherheitsprüfung verantwortlich.
Ebenso bei der schienengebundenen Mobilität ist TÜV Rheinland wichtiger Partner. Etwa bei der Entwicklung neuer Brennstoffzellenantriebe für Straßenbahnen oder den Hyperloop, ein Hochgeschwindigkeitstransportsystem, für das das Unternehmen unter anderem Antworten auf Fragen rund um Planung, Bau, Betrieb, Infrastruktur und Transportkapseln erarbeitet.
Zumindest in NRW ist man in Sachen sicherer autonomer Mobilität auf dem Weg in die Zukunft also schon ein gutes Stück vorangekommen.
Safety first – Testfelder und Testgelände in NRW
Automatisierte und vernetzte Mobilität ermöglicht viele neue Lösungsansätze, die aktuell erforscht werden. Diese Ansätze kommen jedoch nur in den Verkehr, wenn sie die Anforderungen an die Sicherheit erfüllen. In unserem Blogbeitrag zum Marktbeobachtungsbericht innocam.UPDATE beleuchten wir, wie Testfelder und Testgelände am Standort NRW den hohen Ansprüchen an Verkehrssicherheit effizient Vorschub leisten, aber auch welcher Handlungsbedarf zur Verstetigung für den Langfristbetrieb noch ansteht.