Aus unserem BLOG • Von Christian Koch • Juni 2022

Automatisierte Personenbeförderung durch Shuttles

Während Shuttles auf der Schiene bereits im automatisierten Betrieb fahren – Skytrain Düsseldorf seit 2002, U-Bahn Nürnberg seit 2009 – steht ihre reguläre Anwendung auf der Straße erst in den Startlöchern. Seit Anfang 2020 ist die erste autonome Busflotte im öffentlichen Linien-Verkehr im nordrhein-westfälischen Monheim mit fünf Shuttles zwischen Busbahnhof und Altstadt unterwegs. Im 15-Minuten-Takt und einer Geschwindigkeit von 12 km/h werden bis zu 12 Personen einschließlich Operator:in befördert. Vergleichbare Pilotprojekte in Deutschland liefern wichtige Erkenntnisse, die gesetzlichen Regelungen werden fortgeschrieben, die funktionalen Anforderungen definiert und Lösungen für die technischen Herausforderungen entwickelt.

Was ist das Ziel, wo liegen die Herausforderungen?

Das Ziel der jeweiligen Entwicklungen besteht darin, mit den neuen Fahrzeugen und Technologien Möglichkeiten zu eröffnen, um zum einen ÖPNV-Angebote auf die Bedürfnisse der Fahrgäste individueller zuschneiden und zum anderen einen wirksamen Beitrag zur Verkehrs- und Klimawende leisten zu können.

Die Komponenten Fahrzeug, Sensorik, Rechner (Hardware) und das Automatisierungssystem (Software), zumeist von unterschiedlichen Herstellern, müssen dazu in ein vollumfänglich funktionierendes Fahrzeugsystem überführt werden.

Unternehmen erkennen das Marktpotential für automatisierte Shuttles

Etablierte Automotive-Zulieferer, Automobilhersteller und neu gegründete Unternehmen sehen die Potentiale automatisierter Shuttles und treiben die Entwicklung des Verkehrsmittels der Zukunft bereits aktiv voran:

Die Schaeffler AG entwickelt beispielsweise mit der Technologie des israelischen Unternehmen Mobileye – dem Pionier für Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) – eine autonome, hochflexible und anpassbare Fahrzeugplattform, die ab 2023 für autonome Transportlösungen zur Verfügung stehen soll.

Oder das Konsortium BENTELER EV Systems GmbH und Mobileye: sie arbeiten an einem Shuttle für 12 bis 22 Personen. Der Produktionsstart ist für 2024 geplant. Ihre Shuttles sollen den öffentlichen Nahverkehr auf der ersten und letzten Meile ergänzen.

Die ZF Mobility Solutions in München bietet ergänzend zu den Fahrzeugen Beratung, Projektierung und Umsetzung von automatisierten Mobilitätskonzepten und Mobility-as-a-Service Lösungen. Die ZF-Shuttles können auf baulich getrennten Fahrbahnen, eigenen Fahrspuren oder im Mischverkehr verkehren.

Die 2014 gegründete EasyMile SAS testet seit November 2021 Level-4-Fahrzeuge im öffentlichen Straßenraum auf dem medizinischen Campus „Oncopole” in Toulouse. Das EasyMile-Fahrzeug der neuesten Generation pendelt zwischen einem 600 m entfernt liegen-den Besucherparkplatz und dem Haupteingang.

Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung von Shuttles als Verkehrsmittel der Zukunft bleibt der gelungene Transfer aus der Forschung und Entwicklung in die Praxis.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen Sicherheit geben

Da es keine internationalen, harmonisierten Vorschriften zum autonomen Fahren gibt, hat Deutschland einen nationalen Rechtsrahmen geschaffen. Die Entwicklungen und Anwendungen sollen durch Regelungen zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion und zum Kraftfahrzeug selbst unterstützt werden. 2023 soll das im Juni 2021 in Kraft getretene Gesetz zum autonomen Fahren evaluiert werden.

Am 24. Juni 2022 wurde die ergänzende Rechtsverordnung Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Die neue Verordnung spezifiziert u. a. die folgenden Aspekte:

  • die Prüfung und das Verfahren für die Erteilung einer Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen,
  • die Voraussetzungen und das nähere Verfahren zur Genehmigung des festgelegten Betriebsbereichs zum Verkehr eines konkreten Kraftfahrzeuges mit autonomer Fahrfunktion auf öffentlichen Straßen,
  • ergänzende Regelungen zur Zulassung des Kraftfahrzeugs,
  • detaillierte Regelungen zu den Pflichten der Beteiligten,
  • neue Erprobungsregelungen,
  • Umgang mit Ordnungswidrigkeiten,
  • technische Anforderungen an den Bau, die Beschaffenheit, die Ausrüstung für Kraftfahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen (im Anhang).

Mit dieser Verordnung wurden die rechtlichen Grundlagen weiter komplettiert, so dass auch au-tomatisiert fahrende Shuttles im öffentlichen Straßenverkehrsraum zugelassen werden dürfen.

Komplexe Anforderungen erfordern zuverlässige Lösungen

Sicherheit im ÖPNV hat oberste Priorität, die funktionalen Anforderungen sind anspruchsvoll. Für Aufgaben, die bisher durch die Fahrzeugführer:innen übernommen werden – wie z. B. das Erteilen von Fahrplanauskünften, der Fahrscheinverkauf, Hilfestellungen beim Einstieg, Einsammeln von Fundsachen –, müssen innovative Lösungen gefunden werden.

Zudem müssen die Shuttles barrierefrei nutzbar sein. Mit dem NRW-Projekt Ride4All in Soest konnten in 2021 viele Fragen beantwortet werden: Wie kann ich einen autonom fahrenden Bus abrufen und bedienen? Wo steige ich ein? Woher weiß ich, ob der Bus meine Zielhaltestelle an-fährt? Wie navigiere ich zu einer Haltestelle? Welche Hilfen habe ich während der Fahrt im Notfall? Welche Gefahren gehen von dem Fahrzeug aus? Wie kann ich eingreifen?

Zu den technischen Herausforderungen zählen insbesondere der sichere und zuverlässige Betrieb im SAE-Level 4, d. h. ohne Sicherheitsbegleiter:in an Bord, sowie eine höhere Geschwindigkeit (z. B. 30 km/h), so dass das Fahrzeug von seinen Nutzer:innen als Alternative akzeptiert und im Straßenverkehr nicht als Hindernis wahrgenommen wird. Dabei ist eine permanente, gesicherte Datenverbindung zwischen den Fahrzeugen und der lokalen Leitwarte die Grundvoraussetzung für den Betrieb der Shuttle im SAE-Level 4.

Nicht zuletzt sind Konzepte für den Aufbau, den Betrieb und die Gestaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Leitwarte zu entwickeln. Hier ist unter anderem zu klären, welche Informationen über kritische Stellen erforderlich sind, welche Fahrmanöver – unter Beachtung der Haftung – die Mitarbeiter:innen in der Leitwarte durchführen können und wie die Fahrten dokumentiert werden.

Intelligente Mobilitätslösungen aktiv mitgestalten im innocam.NRW-Themenkreis AUTOMATISIERTER ÖPNV

Die Entwicklung automatisierter und im öffentlichen Verkehr einsetzbarer Fahrzeuge birgt viele Herausforderungen, die bis zur Alltagstauglichkeit weiterentwickelt werden müssen, damit automatisierte Shuttles als neues Verkehrsmittel akzeptiert und genutzt werden können. Hier sind insbesondere die Erfahrungen und Anforderungen der ÖPNV-Branche bzw. der Anwender:innen und Nutzer:innen einzubeziehen, um die komplexen Anforderungen auf allen Ebenen zu erfüllen.

innocam.NRW bietet dazu mit seinem Themenkreis Automatisierter ÖPNV die optimale Plattform für den Austausch der relevanten Akteure aus Mobilitätsunternehmen, Wissenschaft, Gesellschaft und Verwaltung. In diversen Expertenrunden wurden für die er-folgreiche Einführung automatisierter Shuttles die folgenden Handlungsfelder identifiziert:

  • Auswertung abgeschlossener Shuttle-Projekte: Aus den durchgeführten Projekten müssen die Erkenntnisse zusammengetragen werden. Zu den verschiedenen Aspekten zählt auch die Akzeptanz, d. h. die positive Reaktion der Fahrgäste und der Verkehrsteilnehmer:innen im Umfeld auf das autonom fahrende Verkehrsmittel.
  • Erarbeitung eines Anforderungskataloges für die Fahrzeugentwicklung: Die vielfältigen Anforderungen aus Sicht der Fahrgäste und der ÖPNV-Anbieter müssen diskutiert und festgeschrieben werden, damit auf dieser Basis standardisierte Leistungsanforderungen für Ausschreibungen erstellt werden können.
  • Erarbeitung von Use Cases: Automatisierte Shuttles können z. B. On-Demand-Fahraufgaben übernehmen oder Lücken in den aktuellen Streckennetzen schließen. In jedem Fall müssen die neuen Optionen in das bestehende ÖPNV-Angebot integriert werden.
  • Erweiterte Datennutzung: Mit der Nutzung der Shuttles werden Umgebungsdaten aufgenommen, die für die Aktualisierung digitaler Karten, zur Verkehrsraumüberwachung oder als Basis für Environmental Modelling genutzt werden können.
  • Nachweis der Wirtschaftlichkeit: Auf Basis der Use Cases und Geschäftsmodelle muss die Wirtschaftlichkeit betrachtet werden. Voraussetzung sind die Fahrten im SAE-Level 4, wenn die Operator:innnen mehrere Fahrzeuge von einem Leitstand aus überwachen können.
  • Qualifizierung der Mitarbeiter:innen: Das Personal der Verkehrsunternehmen müssen für den Betrieb automatisierter Shut-tles ausgebildet werden. Dieses betrifft das ÖPNV-Angebot, Kommunikation und Marketing, die Integration in die Steuerung, die Shuttles und den operativen Betrieb in der Leitwarte.

Sie haben Interesse an einer Mitarbeit?

Wenn Sie im Netzwerk von innocam.NRW aktiv werden und sich in
den Themenkreis Automatisierter ÖPNV einbringen möchten,
sind Sie herzlich eingeladen, uns direkt zu kontaktieren:

Christian Koch
Netzwerkmanager innocam.NRW
T: 0208 9925 241
E: christian.koch@innocam.nrw