Aus unserem BLOG • Von Tobias Reiff, Ministerium für Umwelt Naturschutz und Verkehr • September 2024
Nachbericht zum innocam.STAMMTISCH „Rechtsrahmen zum autonomen Fahren“
An einem Thema kommt kein Forschungsinstitut, kein Unternehmen aus der Mobilitätsbranche oder Verkehrsbetrieb mit Interesse am autonomen Fahren auf der Straße vorbei: den grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Der Auftakt zum regelmäßigen innocam.STAMMTISCH widmete sich am 3. September 2024 der Fragestellung nach der Gesetzesgrundlage für autonome Fahrzeuge in Deutschland.
Über 50 Teilnehmende folgten einem Vortrag von Tobias Reiff aus dem Referat VII B1, Intelligente Verkehrs- und Transportsysteme, urbane Logistik, automatisierte Mobilität, des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen und diskutierten anschließend insbesondere über die durch den Rechtsrahmen gesetzte Architektur und die Gründe, warum in Deutschland noch kein großflächiges Ausrollen autonom fahrender Systeme erfolgt ist.
Status Quo in Deutschland
Der nationale und EU-weite Gesetzesrahmen für fahrerloses Fahren in festgelegten Betriebsbereichen ist seit 2021 in Kraft getreten. Demnach ist autonomes, also fahrerloses, Fahren im öffentlichen Straßenraum möglich. Allerdings gibt es noch kein Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion, welches über die notwendige Betriebserlaubnis des Kraftfahrtbundesamtes oder einer europäischen Typgenehmigungsbehörde verfügt.
Definitionen und Abgrenzung
Zur Abgrenzung des assistierten Fahrens zum autonomen Fahren werden 4 Level entsprechend der Definition der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) unterschieden.[1]
SAE Level 1 und 2 ist der assistierte Modus: Die fahrzeugführende Person hat die ganze Zeit die Fahraufgabe inne. Fahrerassistenzsysteme unterstützen die Quer- und oder Längsführung des Fahrzeugs.
SAE 3 Level ist der automatisierte Modus: Der Fahrer bzw. die Fahrerin kann unter bestimmten Bedingungen die Fahraufgabe an das System übergeben. Der Fahrer bzw. die Fahrerin darf sich in diesem Fall vom Fahrgeschehen abwenden. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, übernimmt der Fahrer bzw. die Fahrerin wieder.
Bei SAE Level 4 spricht man vom autonomen Modus: Das System übernimmt die ganze Zeit die Fahraufgabe und das Fahrzeug erkennt eigenständig, wenn Systemgrenzen erreicht werden.
Gesetzesrahmen zum autonomen Fahren
Der Bundesgesetzgeber hat drei wesentliche Anforderungen für den Betrieb von autonomen, also fahrerlosen, Fahrzeugen festgelegt, wie in der obenstehenden Darstellung skizziert. Dieser Gesetzesrahmen ist seit 2021 in Kraft[2] und die zugehörige Verordnung zur Genehmigung und zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion in festgelegten Betriebsbereichen (Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung – AFGBV) ist seit 2022 verabschiedet.
Die wesentlichen Anforderungen des Gesetzes sind nachfolgend aufgeführt:
- Für das Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion muss eine Betriebserlaubnis vorliegen.
- Es ist eine technische Aufsicht nachzuweisen.
- Es muss eine Betriebsbereichsgenehmigung vorliegen.
Mythen und Realität
Im Verlauf des Vortrags wurden häufig missverstandene Aspekte oder Fehlinterpretationen zum Gesetzesrahmen aufgegriffen.
So wurde klargestellt, dass eine Technische Aufsicht zu keinem Zeitpunkt die Steuerung des Fahrzeugs übernimmt, sondern ausschließlich folgende zwei Aufgaben innehaben kann: Die Deaktivierung der autonomen Fahrfunktion und die Freigabe von Fahrmanövern, welche vom Fahrzeug vorgeschlagen und anschließend validiert werden.
Infrastrukturunterstützung ist ebenfalls ein häufig diskutierter Aspekt. So ist aus rechtlicher Sicht festgelegt, dass das System der autonomen Fahrfunktion selbstständig den an die Fahrzeugführung gerichteten Verkehrsvorschriften entsprechen und über ein System der Unfallvermeidung verfügen muss. Das System muss also in der Lage sein, die Fahraufgabe unter den bestehenden Umgebungen selbständig auszuführen. Das beinhaltet insbesondere die Detektion und Erkennung von Fahrbahnmarkierungen, weiteren Verkehrszeichen und den Zeichen der Lichtsignalanlagen.
Grundsätzlich können kooperative und intelligente Verkehrssysteme (Cooperative Intelligent Transport Systems, kurz C-ITS) unterstützen, jedoch nur unter der Prämisse, Redundanzen zu schaffen. C-ITS-Meldungen sind keine Verkehrszeichen, sondern lediglich zusätzliche Informationen.
Diskussion
Abschließend gab es interessantes Feedback von den Gästen und Teilnehmenden. Sowohl die Fragen zum Zeithorizont von autonomem Fahren in Deutschland als auch zum ersten großflächig realisierten Anwendungsfeld erzeugten ein klares Bild. Die Hälfte der Teilnehmenden rechnet mit einem Realbetrieb in den nächsten zehn Jahren, knapp ein Viertel bereits in den nächsten fünf Jahren.
Die Teilnehmenden des innocam.STAMMTISCHs rechnen außerdem damit, dass sich autonomes Fahren sowohl in der Logistik als auch im ÖPNV durchsetzen wird. Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden erwartet, dass Logistikanwendungen als erste das autonome Fahren im Realbetrieb übernehmen werden. 42% gehen davon aus, dass dies zuerst im ÖPNV der Fall sein wird
Darüber hinaus bestätigten die Teilnehmende die künftige Relevanz der Informationsarbeit über die rechtlichen Rahmenbedingungen insbesondere vor dem Hintergrund konkreter Projekte und technologischer Weiterentwicklungen. Das innocam.NRW Kompetenznetzwerk wird auch hier die Entwicklungen weiterverfolgen, darüber informieren und in seine weiteren Aktivitäten einfließen lassen.
Sie haben ein spannendes Projekt oder Studienergebnisse, die Sie gerne bei einem Stammtisch vorstellen möchten, oder Sie würden gerne mehr über ein Thema oder eine Fragestellung erfahren? Dann melden Sie sich einfach bei uns, wir freuen uns über Vorschläge und Ideen!
Video-Mitschnitt des Vortrags
Tobias Reiff, Ministerium für Umwelt Naturschutz und Verkehr des Landes NRW zum Thema „Rechtsrahmen zum autonomen Fahren – Status Quo und Wissenswertes“.
[1] Mehr informationen finden Sie hier: https://www.bast.de/DE/Fahrzeugtechnik/Fachthemen/f4-nutzerkommunikation.html, letzter Zugriff 07.10.2024
[2] Siehe §§ 1f – 1i Straßenverkehrsgesetz (StVG)