Aus unserem BLOG • Von Dr. Jan Oberhagemann – DST e. V. • September 2023

FernBin – Ferngesteuertes, koordiniertes Fahren als Antwort auf die strategischen Herausforderungen der Binnenschifffahrt

Wenn beim hochautomatisierten oder autonomen Fahren keine qualifizierte Person mehr an Bord ist, die im Notfall eingreifen und die Kontrolle übernehmen kann, stellt sich die Frage nach den Sicherheitsmechanismen, die in solchen Situationen greifen. Insbesondere für automatisiert fahrende Binnenschiffe ist diese Frage sehr relevant, und das aus gutem Grund. Die aktive Navigationsunterstützung bzw. das automatisierte Fahren wird dringend benötigt, um den Fachkräftemangel bei qualifizierten Schiffsführern auszugleichen ohne die Transportkapazitäten reduzieren zu müssen. Es werden also Lösungen gesucht, ein Schiff auch ohne Schiffsführer an Bord steuern zu können.

Die Entwicklung von Automatisierungssystemen ist Stand heute soweit, dass der Schiffsführer bei der Streckenfahrt auf dem Fluss oder dem Kanal von einem Bahnführungssystem unterstützt wird und somit zumindest zeitweise eine rein überwachende Tätigkeit ausübt – letztlich aber stets das Verkehrsgeschehen im Blick hat und z.B. bei Schiffsbegegnungen eingreift. Die Fernsteuerung von Binnenschiffen wird deshalb in der Branche als wichtige Zukunftstechnologie angesehen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Sei es als Rückfallebene für ein hochautomatisiert fahrendes Schiff, oder auch als Möglichkeit, die Schiffsführung an Bord zeitweise zu entlasten – die potenziellen Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

Forschungsprojekt FernBin setzt neue Maßstäbe in der Binnenschifffahrt

Im BMWK-geförderten Forschungsvorhaben FernBin wurde deshalb eine Fernsteuereinrichtung für das 100 m lange Binnenschiff „Ernst Kramer“ entwickelt und umgesetzt, mit der ein Schiffsführer – von einer Zentrale aus – die volle Kontrolle über das Schiff hat und es sicher navigieren kann. Dafür ist das Schiff mit diversen Kameras, Lidar-Sensoren, hochgenauen GNSS-Antennen sowie der notwendigen Mobilfunktechnik für die schnelle, sichere und redundante Übertragung großer Datenmengen ausgerüstet worden.

Außerdem werden die bordeigenen Navigations- und Steuerdaten übertragen, wozu neben den Betriebsdaten der Maschinen- und Ruderanlagen auch die beiden Radarsysteme und die elektronische Kartenanzeige inklusive der Daten des Schifffahrts-Kommunikationssystems AIS gehören. All diese Daten werden am Fernsteuerstand in Echtzeit aufbereitet und dem fernsteuernden Schiffsführer über verschiedene Monitore angezeigt. Der Fernsteuerstand ist hierfür analog zu einem realen modernen Schiffssteuerstand aufgebaut, einschließlich der Fahrhebel für die Bedienung der Ruder- und Antriebsmaschinen. Die weiteren Anzeigen und Bedienelemente erfolgen über Touch-Displays, was eine freie Konfigurierbarkeit ermöglicht und damit erlaubt, den Fahrstand auch zur Steuerung anderer Schiffe mit entsprechender Ausrüstung zu nutzen.

Live-Demonstration auf der Nationalen Maritimen Konferenz`2023: FernBin präsentiert innovative Fernsteuerung für Binnenschiffe

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, lässt sich in Bremen auf der Nationalen Maritimen Konferenz den Fernsteuerstand erklären, der im Projekt FernBin entwickelt wurde.

Der Fernsteuerstand ist auf der diesjährigen Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) ausgestellt worden, die am 14. und 15. September in Bremen stattfand. Die NMK wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ausgerichtet und ist ein Forum, auf dem die maritime Branche gemeinsam mit Vertretern aus Politik, Forschung und Gesellschaft die Themen diskutiert, die diese für Deutschland als Exportnation wichtige Branche betreffen – Klimawandel, Sicherung der Transportketten und der Transportinfrastruktur, Fachkräftemangel.

Im Rahmenprogramm der Konferenz wurde der Fernsteuerstand nicht nur dem interessierten Publikum vorgestellt. Zugleich wurde während der zwei Tage dauernden Veranstaltung von Bremen aus live die „Ernst Kramer“ im Duisburger Hafen ferngesteuert. Diese zweitägige Erprobung war ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung, mit dem der unterbrechungsfreie Betrieb über einen längeren Zeitraum nachgewiesen wurde. Das Schiff wurde in der Zeit von zwei erfahrenen Schiffsführern aus dem Fernsteuerstand navigiert. Ein weiterer Schiffsführer befand sich allerdings durchgängig an Bord, um bei technischen Problemen oder schwierigen nautischen Situationen jederzeit eingreifen zu können.

Über Fernüberwachung und -steuerung hinaus: weitere Fortschritte in der assistierten Fahrtechnologie

Neben den Einrichtungen für Fernüberwachung und Ferneingriffsmöglichkeiten hat das Projektkonsortium weitere Technologien für das assistierte Fahren entwickelt, die teilweise ebenfalls vorgeführt werden konnten. Neben der automatisierten Bahnführung zählen hierzu Methoden zur Verkehrsprognose, die auf bevorstehende Schiffsbegegnungen und kritische Situationen hinweisen, Verfahren zur Kollisionswarnung, zur automatisierten Berechnung von Ausweichmanövern sowie ein System zum Monitoring der Schiffsführung, welches kritische Fahrmanöver erkennt und die Schiffsführung über mögliche Handlungsalternativen informiert.

Erfolgreich im Verbund aus exzellenter Forschung und innovativen Unternehmen

Am Projekt FernBin sind neben der Universität Duisburg-Essen (mit den drei Lehrstühlen für Schiffstechnik, Mechatronik und Regelungstechnik) und der RWTH Aachen (Institut für Regelungstechnik) auch die Firmen Argonics, Ingenieurbüro Kauppert, IN – Innovative Navigation, Argonav sowie die Bundesanstalt für Wasserbau als Partner beteiligt. Das Projekt wird vom DST – Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme e. V. geleitet. Die Reederei Rhenus als assoziierter Partner stellt das Binnenschiff „Ernst Kramer“ bereit, das im Rahmen des Projekts eingesetzt wird.