Aus unserem BLOG • Von Franz Albers, TU Dortmund • Februar 2023

DEmandäR – Forschungsprojekt zum automatisierten Fahren in der ländlichen Region

Automatisiertes Fahren könnte zukünftig für den ländlichen Raum einen großen Mehrwert bieten. Das Projekt DEmandäR untersucht offene Fragestellungen, indem mit einem Messfahrzeug auf einer repräsentativen Messtrecke zu wechselnden Tages- und Jahreszeiten sowie bei verschiedenen Witterungsbedingungen Daten erhoben werden.

In vielen ländlichen Regionen ist die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel mangelhaft, was eine große Einschränkung für die Attraktivität und die Entwicklung dieser Gebiete darstellt. Trotz ambitionierter Klimaziele ist ein eigenes Auto in diesen Regionen daher heutzutage oftmals eine Voraussetzung für uneingeschränkte Mobilität. Eine mögliche Lösung für diese Problematik könnte zukünftig der Einsatz von automatisierten Kleinbussen sein.

Im ländlichen Raum zeigen sich hier jedoch einige spezielle Herausforderungen: Stark verschmutzte oder komplett fehlende Fahrbahnmarkierungen, spärlich ausgebaute Straßen- sowie 5G-Mobilfunk-Infrastruktur und gegebenenfalls plötzlich auftretende Wildwechsel sind nur einige der Schwierigkeiten, die automatisierte Fahrzeuge auf ländlichen Strecken bewältigen müssen. Zudem fokussieren sich bisher verfügbare Datensätze für das automatisierte Fahren (z. B. die bekannten Datensätze KITTI [1] oder nuScenes [2]), die für das Training von aktuellen lernbasierten Algorithmen essenziell sind, überwiegend auf urbane Regionen und Autobahnen, so dass entsprechende Daten aus ländlichen Gegenden aktuell nur eingeschränkt verfügbar sind.

Komplexe Umfelderfassung bei Wind und Wetter auf Landstraßen, Feldwegen und in Gewerbegebieten

Im Projekt DEmandäR (Akronym für „Datenbasierte Empfehlungen für das Automatisierte Fahren in der Ländlichen Region“) wird untersucht, welche Schwierigkeiten beim Betrieb von automatisierten Fahrzeugen in ländlichen Regionen auftreten. Die dafür notwendigen Daten werden im Rahmen des Projekts erhoben: Mit einem gemäß dem aktuellen Stand der Technik ausgestatteten Messfahrzeug werden regelmäßig auf einer für den ländlichen Raum repräsentativen Strecke im Sauerland Messdaten aufgenommen. Um verschiedene Bedingungen abzudecken, erfolgt die Aufnahme über einen Zeitraum von einem kompletten Jahr bei verschiedenen Witterungsverhältnissen sowie zu wechselnden Tageszeiten.

So entsteht ein umfangreicher neuer Datensatz, der nicht nur Aufnahmen unter idealen Wetterbedingungen umfasst, sondern auch gezielt störende Umwelteinflüsse (wie z. B. Regen, Nebel oder Schnee) abdeckt. Diese widrigen Bedingungen können sich unter Umständen negativ auf die Umfeldwahrnehmung für das automatisierte Fahren auswirken. Im Rahmen des Projekts werden die erhobenen Daten mit State-of-the-Art-Algorithmen der Umfelderfassung analysiert, um problematische Streckenabschnitte und Witterungsbedingungen für aktuelle Algorithmen und ggf. notwendige Infrastrukturen zu identifizieren. Auf diese Weise kann gezielt an einer Verbesserung dieser Algorithmen für die besonderen Bedingungen in ländlichen Regionen geforscht werden.

Testfahrzeug mit hochpräziser Sensorik seit 2022 im Sauerland im Einsatz

Das Messfahrzeug wurde mit aktueller Rechentechnik und Sensorik für eine hochpräzise Umfelderfassung und Eigenlokalisierung ausgestattet. Die verschiedenen redundanten Sensortechnologien erlauben jeweils eine komplette 360° Rundumsicht: Ein Langstrecken-Lidar liefert hochpräzise Punktwolken bei einer Reichweite von bis zu 240m (im Video: rote Punktwolke). Vier Radar-Sensoren erlauben auch unter widrigen Bedingungen robuste Detektionen von Rohzielen (im Video: blaue Punktwolke) und Objekten (im Video: Bounding Boxen).

Eine Serien-Frontkamera hinter der Windschutzscheibe erkennt andere Verkehrsteilnehmer und Fahrbahnmarkierungen. Sechs auf dem Dach montierte Kameras komplettieren die Sensorik der Umfelderfassung. Als Referenzsystem für die Lokalisierung dient ein hochgenaues Real-Time-Kinematic Differential Global Navigation Satellite System (RTK-DGNSS), das die eigene Position unter anderem durch die Nutzung von Mobilfunk-Korrekturdaten mit einer Genauigkeit von bis zu einem Zentimeter bestimmen kann.

Das Messfahrzeug fährt seit August 2022 regelmäßig auf der Messstrecke. Angestrebt wird die Aufzeichnung von insgesamt ca. 5000 km.

Studienergebnisse liefern Empfehlungen für Infrastrukturinvestitionen beim Übergang in den Regelbetrieb mit automatisierten Fahrzeugen

Rechentechnik im Kofferraum des Messfahrzeugs der TU Dortmund

Für das Training lernbasierter Algorithmen werden riesige Datenmengen benötigt. Vorangegangene Veröffentlichungen anderer Datensätze für das automatisierte Fahren mit tausenden Zitationen zeigten bereits das große Interesse der Wissenschaftsgemeinschaft. Auch der im Rahmen des Projekts aufgezeichnete Datensatz soll der Wissenschaftsgemeinschaft zum Ende des Projekts für weitere Forschung zur Verfügung gestellt werden. Im Vergleich zu bestehenden Datensätzen setzt der DEmandäR Datensatz mit dem Fokus auf eine repräsentative Strecke im ländlichen Raum einen anderen Schwerpunkt und bietet dabei eine Sensorkonfiguration, die u. a. durch die Verwendung von Automotive-Radarsensoren und des RTK-DGNSS auch im Vergleich zu anderen Forschungsfahrzeugen einzigartig ist. 

Durch die Analyse der umfangreichen Datengrundlage lassen sich objektive Aussagen über die ganzjährige und ganztägige Einsetzbarkeit automatisierter Fahrzeuge unter Berücksichtigung der Besonderheiten des ländlichen Raums treffen. Im Rahmen des Projekts werden daraus konkrete Richtlinien und Empfehlungen für Kommunen abgeleitet, wie automatisierter Verkehr in neue Mobilitätskonzepte integriert werden kann und welche langfristigen Investitionen in die Infrastruktur erforderlich sind. Zukünftig kann so eine sinnvoll in nutzerzentrierte Mobilitätskonzepte eingebundene Automatisierung des ÖPNV für Menschen in ländlichen Regionen die Lebensqualität erhöhen, zur Daseinsvorsorge beitragen und Teilhabe ermöglichen.

Gut aufgestellt – das Projektkonsortium aus Forschung, Wirtschaft und Kommune

Das Projekt DEmandäR wird umgesetzt von der TU Dortmund zusammen mit den Stadtwerken Menden und der Stadt Arnsberg als assoziierter Partner.

An der TU Dortmund wird das Projekt im Rahmen von Promotionsvorhaben wissenschaftlich bearbeitet, der Lehrstuhl für Regelungssystemtechnik verfügt über das Messfahrzeug, mit dem die Datenaufnahme durchgeführt wird. Die Stadtwerke Menden, unterstützt durch die Stadt Arnsberg, übernehmen im Projekt die Rolle als Bindeglied zur ländlichen Region, um die Repräsentativität der Strecke sicherzustellen und agieren als direkter und vertrauensvoller Ansprechpartner für die Bürger und Bürgerinnen vor Ort.

Gefördert wird das Projekt DEmandäR im Rahmen der „Richtlinie zur Förderung der Vernetzten Mobilität und des Mobilitätsmanagements“ (FöRi-MM) mit einem Betrag von ca. 0,5 Mio. Euro durch das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Projekt läuft vom 01.04.2021 bis zum 31.12.2024.

Referenzen

[1] Geiger, A., Lenz, P., Stiller, C., & Urtasun, R. (2013): Vision meets robotics: The kitti dataset. The International Journal of Robotics Research, 32(11), S. 1231-1237.

[2] Holger Caesar, Varun Bankiti, Alex H. Lang, Sourabh Vora, Venice Erin Liong, Qiang Xu, Anush Krishnan, Yu Pan, Giancarlo Baldan, Oscar Beijbom (2020): nuScenes: A Multimodal Dataset for Autonomous Driving. Proceedings of the IEEE/CVF Conference on Computer Vision and Pattern Recognition (CVPR), S. 11621-11631