
Automatisierte Boden-Luft-Vernetzung von Mobilitätsakteuren zur Verbesserung von Interaktion und Kollaboration
Aus unserem BLOG • Von David Haberle, innocam.NRW • Oktober 2025
Beim letzten innocam.STAMMTISCH informierten sich rund 25 Teilnehmende über das Projekt AVIK und diskutierten die Potenziale sowie Herausforderungen eines Marktplatzes für Mobilitätsdaten. Als Impulsgeber stellten Joachim Denker (ASINCO GmbH) und Jan Seitz (TH Wildau) ihre Erfahrungen aus dem Projekt „AVIK – Automatisierte Boden-Luft-Vernetzung von Mobilitätsakteuren zur Verbesserung von Interaktion und Kollaboration“ vor.
Das Projekt AVIK wurde durch die mFUND-Initiative des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) gefördert. Die Projektlaufzeit erstreckte sich von Dezember 2022 bis Mai 2025, das Fördervolumen betrug rund 1,6 Millionen Euro. Weitere Informationen zum Projekt sind auf der offiziellen BMDV-Webseite verfügbar:
https://www.bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/mfund-projekte/AVIK.html
Motivation
Ziel des Projekts AVIK ist der Aufbau einer einheitlichen Plattform, auf der Mobilitätsdaten aus verschiedenen Quellen – etwa von Sensoren in der Luft und auf der Straße – gespeichert und ausgetauscht werden. Perspektivisch soll diese Plattform als Marktplatz für Daten dienen.
Die Referierenden betonten, dass die Vernetzung von Mobilitätsdaten das Verkehrsmanagement deutlich verbessern kann. Darüber hinaus entsteht ein zusätzlicher Nutzen aus bereits erhobenen oder geplanten Mobilitätsdaten, wenn diese über die Plattform verknüpft werden. Die strukturierte Speicherung und sichere Verknüpfung der Daten ermöglicht eine Analyse und Weiterverwendung in zahlreichen Anwendungsfällen. So kann ein funktionierender Datenmarktplatz entstehen, der Impulse für Angebot und Nachfrage im Mobilitätssektor setzt.
Welche Daten dabei relevant sind – etwa Positions- und Geschwindigkeitsinformationen, Sicherheits- oder Umweltdaten zur Zustandsbewertung von Straßen und Einrichtungen – bestimmt der Markt.
Joachim Denker hob hervor, dass der Umgang mit sensorgestützten Daten auch im Smart-City-Kontext eine zentrale Rolle spielt. Viele Kommunen setzen auf Insellösungen, wie einzelne Verkehrssensoren oder Umweltstationen, die nicht interoperabel sind. Die fehlende Standardisierung unterschiedlicher Protokolle und Datenmodelle erschwert die Integration in bestehende Infrastrukturen wie LoRaWAN (Long Range Wide Area Network), Mobilfunk, WLAN oder MQTT (Nachrichtenprotokoll für Machine-to-Machine- (M2M) und IoT- (Internet der Dinge) Kommunikation). Datenschutz und Governance stellen insbesondere bei Kameras und personenbezogenen Daten hohe Hürden für die gesellschaftliche Akzeptanz dar.
Langfristig soll die Datendrehscheibe die Vernetzung von Mobilitätsakteuren ermöglichen. Eine datenbasierte Optimierung schafft neue Geschäftsmodelle, Services und Anreize und trägt zur nachhaltigen Transformation der Mobilität bei.
Partner im Projekt „AVIK“
Die ASINCO GmbH aus Duisburg übernimmt dabei die Rolle des Konsortialführers. Sie ist für die Gesamtkoordination des Projekts verantwortlich und leitet die Entwicklung der technischen Plattform. Dazu zählen insbesondere die Integration von Sensorik und Kommunikationssystemen sowie das Design und die Umsetzung der technischen Infrastruktur. Für das Projekt wurde ein eigenes LoRaWAN-Modul für Sensoren entwickelt, inklusive Anbindung an ein eigenes Gateway. Die Cloud-Infrastruktur der SmartCity Bochum dient als technische Basis. Als Datengrundlage kommen unter anderem ein Fahrzeugzähler, ein Bodenqualitätsdetektor und ein Luftqualitätsmessgerät zum Einsatz.
Die Technische Hochschule Wildau bringt ihre wissenschaftliche Expertise in das Projekt ein. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Datenauswertung, der Analyse regulatorischer Rahmenbedingungen sowie mit methodischen Fragestellungen, die für eine sichere und effektive Vernetzung im Mobilitätsbereich von Bedeutung sind.
Ein weiterer zentraler Projektpartner ist die Werner Turck GmbH & Co. KG aus Halver. Das Unternehmen liefert die notwendige Sensorik und ist zuständig für die Hardwareentwicklung sowie die Anpassung der Sensoren an die Anforderungen der mobilen Anwendung. Damit trägt Turck maßgeblich zur technischen Realisierung der Erfassung von Umgebungsdaten bei.
Schließlich ist auch die Blockchain Research Lab gGmbH aus Hamburg Teil des Konsortiums. Sie bringt ihre Expertise im Bereich Blockchain-Technologie und digitale Ökonomie ein. Ihr Fokus liegt auf der sicheren Datenübertragung, der Nutzung von Blockchain zur Absicherung der Kommunikationsprozesse sowie auf Konzepten zur Monetarisierung und ökonomischen Verwertung der gesammelten Mobilitätsdaten. Darüber hinaus arbeitet sie an der Entwicklung datengestützter Geschäftsmodelle und an der Konzeption eines Datenmarktplatzes.
Kernziele des Projektes
Zu den technischen Kernzielen des Projekts AVIK gehört zunächst die Weiterentwicklung von Kommunikationskomponenten, die einen effizienten und sicheren Datenaustausch zwischen boden- und luftgebundenen Mobilitätsteilnehmenden ermöglichen sollen. Ein zentrales Element bildet die Realisierung einer Plattform für den zentralen Datenaustausch – etwa durch die Weiterentwicklung bestehender Cloud-Lösungen – inklusive entsprechender Möglichkeiten zur Datenverarbeitung.
Darüber hinaus werden Testdrohnen mit geeigneter Sensorik ausgestattet, beispielsweise mit Radarsystemen zur Kollisionsvermeidung. Parallel dazu erfolgt die Entwicklung von Signalverarbeitungsalgorithmen, die speziell für Mobilitätsanwendungen ausgelegt sind – etwa auf Basis künstlicher Intelligenz zur Auswertung von Radardaten. Ergänzend werden geeignete Kommunikationsmodule entwickelt, die sich in verschiedene Mobilitätsteilnehmenden integrieren lassen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Erarbeitung eines Konzepts für Data Governance. Dazu gehört auch die Definition von Anforderungen sowie die Analyse und Bewertung rechtlicher Rahmenbedingungen – insbesondere im Hinblick auf notwendige Betriebserlaubnisse für den Einsatz der entwickelten Systeme. Abschließend wird ein „Zukunftsszenario Vernetzte Mehrwertmobilität“ entworfen, das Aspekte wie Blockchain, Marktplatz, Interaktion und Auswirkung, in den Fokus nimmt.
Sensor-Frameworks im Kontext AVIK
Konkrete anwendungsorientierte Ansätze sind:
Fahrzeugzähler
Ein Radarsensor im 77-GHz-Bereich mit integrierter Signalverarbeitung dient der zuverlässigen Erfassung von Fahrzeugen. Er ist in einem vandalismussicheren Gehäuse untergebracht und für den Einsatz im Außenbereich sowie für den Dauerbetrieb konzipiert. Die erfassten Daten werden über ein LoRaWAN-Modul im 868-MHz-Band übertragen, das für große Reichweiten ausgelegt und besonders energieeffizient ist – allerdings mit Einschränkungen bei der Echtzeitfähigkeit. Ein konfigurierbarer Erfassungsbereich von bis zu 10 Metern ermöglicht die gleichzeitige Detektion von Fahrzeugen und Fußgängern. Ein erster Pilotbetrieb findet unter anderem im Rahmen des Projekts Smart City Bochum durch die USB Bochum GmbH statt.
Bodenqualitätsdetektion
Zur Detektion der Bodenqualität kommt ein System zur Sensorfusion zum Einsatz, das unter anderem Belagsarten wie Gras, Schotter oder Beton sowie Oberflächenrauheit erkennen kann. Diese Informationen bilden die Grundlage für die Bewertung von Befahrbarkeit und Pflegezuständen. Vibrationssensoren auf Basis von Beschleunigungsmessung erfassen Veränderungen in der Bodenoberfläche und weisen auf Schäden wie Schlaglöcher, Risse oder Unebenheiten hin. Die Kombination von Radar- und Positionsdaten mit den Vibrationsmustern ermöglicht eine klassifizierende Echtzeit-Auswertung der Straßenzustände. Dabei kommen Machine-Learning-Verfahren zur Anwendung, die eine multisensorielle Datenfusion durchführen, Messrauschen reduzieren und präzisere Aussagen zur aktuellen Bodenbeschaffenheit ermöglichen.
Luftqualitäts- und Temperaturmessung
Zur Erfassung lokaler Mikroklimata werden Temperatursensoren eingesetzt, etwa in Straßenschluchten oder auf Drohnen in variabler Flughöhe. Ergänzt wird das System durch Luftqualitätssensoren zur Messung von Feinstaub (PM2.5/PM10), Stickoxiden (NOx) und Kohlenstoffdioxid (CO₂), die über I²C- oder SPI-Schnittstellen angebunden sind. Die Sensorik basiert auf einer eigenen On-Board-Entwicklung mit kompakten Modulen, die – ähnlich wie bei der Bodenqualitätsdetektion – in ein kombiniertes Funk- und Sensormodul integriert sind. Durch die parallele Erfassung von GPS-Positionsdaten lassen sich die Messwerte ortsgenau und bewegungsbezogen auswerten. Die Übertragung der Daten erfolgt ebenfalls über LoRaWAN, wobei eine adaptive Datenrate (ADR) für eine energieeffiziente und sichere Kommunikation mit Gateways oder kommunalen Cloud-Infrastrukturen sorgt.
Herausforderungen am Weg zur Umsetzung
In der Erfahrung der Referierenden waren die Themen Datenschutz und Datenverwertung gut lösbare Herausforderungen. Zukünftig rücken jedoch Fragen nach Kosten und Gegenwert bei der Skalierung in den Vordergrund. Dafür braucht es Veränderungen in Prozessen, Strukturen und insbesondere in der Haltung der Beteiligten. Während Standardisierung (etwa in DIN/ISO-Gremien) zwar komplex und von Interessenkonflikten geprägt ist, bleibt sie ein lösbares Problem. Die größere Herausforderung liegt darin, eine überzeugende Vision mit greifbarem Nutzen zu vermitteln und gleichzeitig Bedenken ernst zu nehmen. Der menschliche Faktor überwiegt die technischen Aspekte, da Verhaltensänderungen nicht automatisch erfolgen.
Einschätzungen der Teilnehmenden
Die Teilnehmenden identifizierten verschiedene Hindernisse für eine flächendeckende Vernetzung und Verwertung von Mobilitätsdaten. Technische Herausforderungen bestehen in der Interoperabilität, Standardisierung, Datenqualität und Echtzeitfähigkeit. Diese Aspekte wirken sich auch auf die Finanzierung und Monetarisierung aus. Weitere Herausforderungen betreffen Datenschutz, Netzabdeckung und Cybersicherheit.
Gleichzeitig sehen die Teilnehmenden große Potenziale in einem Datenmarktplatz. Neben einer effizienteren Nutzung bestehender Daten lassen sich auch qualitativ neue Mehrwerte schaffen. Die Daten könnten häufiger, vollständiger und realitätsnäher bereitgestellt werden, wodurch Insellösungen vermieden werden. Ein funktionierender Marktplatz könnte zu besseren Forschungsergebnissen führen und als Enabler für Innovationen dienen. Strukturell ermöglicht er mehr Unabhängigkeit von US-Tech-Konzernen und langfristig ein europäisches, einheitliches Mobilitätsticket für alle Anbietende.
Ausblick und Handlungsempfehlungen
Weiterführende Publikationen finden sich auf der Webseite des Projektpartners: AVIK – Blockchain Research Lab
Für die Fortführung der Aktivitäten nach Projektende empfiehlt Jan Seitz eine schrittweise Erweiterung, wie im Bereich Data Governance als erforderliche adaptive Weiterentwicklung.
Eine 3-Phasen-Strategie sieht vor, zunächst ein belastbares Fundament zu schaffen (12 Monate), anschließend die Markterprobung durchzuführen (12 Monate) und schließlich die europäische Skalierung umzusetzen (24 Monate). Für den Übergang vom Pilotprojekt zum Ökosystem braucht es kommunale Partner, Pilotkunden und 20–30 Anker-Teilnehmende. Möglicherweise könne der Green Deal Dataspace dafür behilflich sein, worauf aus dem Teilnehmendenkreis hingewiesen wurde.
Der Green Deal Dataspace ist ein europäisches Datenökosystem, das im Rahmen des Europäischen Green Deal entwickelt wird. Ziel ist es, den sicheren und vertrauenswürdigen Austausch von Umwelt- und Nachhaltigkeitsdaten zwischen Unternehmen, Behörden, Forschungseinrichtungen und Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen.
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