
Über digitale Verkehrsnetze: Status und Perspektiven in der DACH-Region
Aus unserem BLOG • Von Nadine Teusler, innocam.NRW • Juni 2025
innocam.NRW informierte sich am 13.05.2025 im Rahmen eines PRISMA.experTalks über aktuelle Entwicklungen und Herausforderung zur Umsetzung digitaler Verkehrsnetze in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz). Unter dem Titel „Digitale Verkehrsnetze: Status und Perspektiven in der DACH-Region“ präsentierten Vortragende aus drei Ländern die Ansätze in ihren Regionen, für Deutschland war Stefan Wick von strassen.NRW dabei.
Damit die Verwaltung effizient und innovativ arbeiten kann, sind umfassende, aktuelle und zuverlässige Daten unerlässlich. Digital gesteuerte Verkehrsnetze schaffen die Basis für eine Übersicht über die Verkehrsinfrastruktur. Außerdem sorgen einheitliche Datenstandards dafür, dass der Austausch zwischen verschiedenen Organisationen reibungslos funktioniert.
Eine allgemeine Einschätzung zum Thema erfolgte durch Dr. Stefan Kollarits, Geschäftsführer der PRISMA solutions. Verkehrsmodellierungen, Einbindungen unterschiedlicher Verkehrsmittel für die Berechnung einer Route und das Ableiten von Optierungspotenzialen für die Logistik sind durch kommerzielle Netze bereits gut abgedeckt. Speziellere Informationsbedarfe der öffentlichen Hand können dagegen mitunter wenig oder gar nicht bedient werden. Dazu zählen u.a. Netzverwaltungen (z.B. Besitzverhältnisse), die Pflege und Bereitstellung bzw. Nutzung von Ordnungssystemen (z.B. Kilometrierung) oder die Verwaltung der Verkehrsinfrastruktur.
In Ergänzung dazu benötigen unterschiedliche Bereiche oder Aufgabenstellungen auch eine unterschiedliche Bereitstellung und Aufbereitung von Informationen bzw. Daten. Im Rahmen der Verwaltung stehen beispielsweise Statistiken für das Verkehrsnetz oder allgemein die Unterstützung der Verwaltung im Vordergrund, im Bereich der Navigation liegt der Schwerpunkt auf allen routingrelevanten Informationen, bei der Planung auf Kapazitäten und Planungsszenarien und die Verkehrstechnik greift u. a. auf kritische Straßenabschnitte (wie z. B. Kreuzungen) zu. Diese unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen resultieren in unterschiedlichen Netzmodellen.
Die Überführung verschiedener Netzmodelle in ein klares übergreifendes Modell bietet einige Vorteile. Es ermöglicht es, verschiedene Aspekte des Verkehrsmanagements in separaten, aber miteinander verbundenen Schichten zu organisieren. Das sorgt für eine bessere Übersicht und Flexibilität. Zum Beispiel kann eine Schicht für die Verwaltungssicht zuständig sein, eine andere für die Navigation und eine weitere für die Verkehrstechnik usw. Dadurch lassen sich komplexe Verkehrsprozesse effizienter steuern und anpassen. Außerdem erhöht dieser Ansatz die Skalierbarkeit und Robustheit des Systems, weil einzelne Schichten unabhängig voneinander verbessert oder gewartet werden können, ohne das gesamte System zu beeinträchtigen. Lösungsansätze in der DACH-Region wurden in sich anschließenden Vorträgen präsentiert.
Österreich – GIP 2.0
Dominik Wieser von der ITS Vienna Region stellte GIP 2.0 vor, das als Upgrade für den Verkehrsgraph Österreichs bezeichnet wurde. Die Graphenintegrations-Plattform GIP in Österreich ist eine spezielle Lösung, die dazu dient, verschiedene Datenquellen und -systeme miteinander zu verknüpfen und zu integrieren, um komplexe Zusammenhänge besser sichtbar und nutzbar zu machen. Sie basiert auf der Idee, Daten in Form von Graphen darzustellen, was es ermöglicht, Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Datenpunkten klar zu erkennen und zu analysieren.
In Österreich wird die GIP beispielsweise im öffentlichen Sektor eingesetzt, um verschiedene Verwaltungsdaten, Infrastrukturinformationen oder andere relevante Datenquellen effizient zu verknüpfen (u.a. Straßenbelag, Verkehrszeichen, Sonderrechte (Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst), Geschwindigkeitsbeschränkungen). Ziel ist es, die Datenintegration zu verbessern, die Transparenz zu erhöhen und die Entscheidungsfindung zu erleichtern.
Aufgrund sich ändernder Anforderungen, z. B. die Datenqualität oder den notwendigen Detaillierungsgrad der Daten, die stetige Weiterentwicklung von Verkehrsleitung und -management oder die Rolle der Verwaltung, werden Anpassungen notwendig. GIP 2.0 ist eine Weiterentwicklung und Modernisierung der bestehenden Plattform mit u.a. folgenden neuen Aspekten:
- Zentrale Datenbank
- Zentraler Konfigurationsservice
- Open Source (Weiterentwicklung durch Dritte anhand spezifischer Bedarfe)
- Kontinuierliche Updates
- Intuitives User Interface für Nicht-GIS-Spezialist:innen
Die Umsetzung ist für das 4. Quartal 2025 geplant.
Schweiz – Mobilitätsdateninfrastruktur
Stefan Zingg vom Bundesamt für Landestopographie swisstopo stellte die Mobilitätsdateninfrastruktur (MODI) vor, die als innovatives Projekt aus der Schweiz darauf abzielt, die vielfältigen Mobilitätsdaten des Landes zu bündeln und nutzbar zu machen. Dabei handelt es sich um eine zentrale Plattform, die Daten aus verschiedenen Quellen sammelt, wie zum Beispiel aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Verkehrsmanagementsystemen, Navigationsdiensten, Carsharing-Anbietern und Fahrradverleihsystemen.
Das Ziel von MODI ist es, eine umfassende und aktuelle Datenbasis zu schaffen, die es ermöglicht, den Verkehr (auf Autobahnen, Nationalstraßen, Kantonale Straßen, Gemeindestraßen, Landstraßen) zu planen, zu analysieren und Simulationen durchzuführen. Dadurch können Verkehrsflüsse besser geplant, Staus reduziert und die Nutzung nachhaltiger Verkehrsmittel gefördert werden. Zudem kann MODI eine Grundlage für die Entwicklung smarter Mobilitätslösungen sein, etwa für die Bereitstellung von Daten für Apps, die Routenplanung, Fahrplanauskünfte oder das Anbieten multimodale Verbindungen.
Ein wichtiger Aspekt ist die Interoperabilität: MODI sorgt dafür, dass Daten verschiedener Anbieter und Systeme kompatibel sind, was die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren erleichtert. Das trägt dazu bei, die Mobilität in der Schweiz effizienter, umweltfreundlicher und nutzerorientierter zu gestalten.
Darüber hinaus ist MODI ein wichtiger Baustein für die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz. Sie unterstützt die Umsetzung von Smart-City- und Smart-Mobility-Konzepten und trägt dazu bei, die Verkehrssicherheit zu erhöhen sowie die Verkehrsplanung nachhaltiger zu gestalten. Die Inbetriebnahme ist ab 2028 geplant.
Deutschland – Digitales Straßennetz
Alle 16 Bundesländer, der Bund und die Autobahn GmbH erfassen und pflegen ihre Informationen zum Straßennetz (Bundesautobahnen, Bundes- und Landesstraßen) nach dem einheitlichen Regelwerk der Straßeninformationsbank, kurz ASB (Anweisung Straßeninformationsbank), wobei der ASB-Netz-Datenbestand aktuell etwa 230.000 km Straßen umfasst. Referent Stefan Wick ist Referatsleiter für Straßeninformation und Vermessung im Landesbetrieb Straßenbau NRW (strassen.NRW) und stellte die ASB vor.
ASB ist eine zentrale Datenbank in Deutschland, die umfangreiche Informationen über die Straßeninfrastruktur sammelt. Sie enthält Daten zu Straßen, Brücken, Tunneln, Verkehrszeichen und anderen wichtigen Infrastrukturteilen. Ziel ist es, eine zuverlässige und aktuelle Datenbasis bereitzustellen, die für Verkehrsplanung, Bauprojekte, Wartung und Verkehrsleitsysteme genutzt wird. Die ASB hilft dabei, den Zustand der Straßen zu überwachen, Planungen effizienter zu gestalten und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Das ASB-Netz ist nicht routingfähig und weist keine geschlossene Topologie auf. Die notwendigen Informationen beziehungsweise Objekte sind oft nicht befüllt, da die Vorhaltung dieser Objektinformationen freiwillig ist. Zudem beinhaltet das ASB-Netz keine Kommunalstraßen. Für die bundesweite Nutzung aller Straßenklassen ist daher eine Kombination mit einem kommerziellen Netz, beispielsweise INS-GST (Integrationsnetz Straße Großraum- und Schwertransporte) für VEMAGS (Verfahrensmanagements für Großraum- und Schwertransporte), erforderlich, um eine vollständige und funktionale Straßenkarte (Bundesstraßen, Landstraßen, Kreisstraßen, Gemeindestraßen) zu gewährleisten.
Das INS-GST ist ein deutsches System, das für die Verkehrs- und Navigationssteuerung entwickelt wurde. Es integriert verschiedene Datenquellen, um eine präzise und aktuelle Verkehrsführung zu ermöglichen. Das System unterstützt beispielsweise die Verkehrslenkung, Stauumleitung und das Management von Baustellen. Ziel ist es, den Verkehrsfluss zu optimieren, Staus zu reduzieren und die Mobilität in Deutschland effizienter zu gestalten. Es ist ein wichtiger Baustein für die Digitalisierung der Verkehrsinfrastruktur und trägt dazu bei, die Verkehrssicherheit und Umweltfreundlichkeit zu verbessern.
Das INS-GST Netz zeigt, dass eine Verknüpfung verschiedener Netze möglich ist. Viele Informationen liegen bereits vor, allerdings in unterschiedlichen Strukturen. Ähnlich dem vorgestellten Vorhaben aus der Schweiz könnte für Deutschland ein vergleichbares Projekt umgesetzt werden. Als Basis bieten sich das ASB-Netz oder zunächst das INS-Netz an, das sinnvoll zu einem flächendeckenden Basisnetz ergänzt werden sollte. Mittelfristig könnte, wenn alle Datenhalter ihre Informationen bereitstellen, auf ein kommerzielles Netz verzichtet werden. Zudem ist eine Ergänzung um weitere Verkehrsträger (Schiene und Wasser) sinnvoll.
Fazit
Im Rahmen der Diskussion wurde auch eine mögliche Verknüpfung der Modelle in den unterschiedlichen Ländern angerissen. Ein Beispiel sind grenzüberschreitende Schwertransporte. Die Referierenden sehen durchaus die Möglichkeit, zukünftig einen besseren und abgestimmten Datenaustausch zu realisieren. Die Entwicklung eines gemeinsamen digitalen Verkehrsnetzes wird aufgrund der oben beschrieben unterschiedlichen Ansätzen und einer notwendigen Prüfung der Kompatibilität nicht in naher Zukunft zu lösen sein. Die Aufzeichnung des PRISMA.experTalks sowie die gehaltenen Präsentationen können Sie hier noch einmal nachträglich ansehen.
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