Die DVWG Bezirksvereinigung Oberrhein e.V. lud am 07.10.2025 zur Onlineveranstaltung „Aktueller Stand Autonomen Fahren im ÖV“ ein. Ein zentraler Veranstaltungsschwerpunkt lag auf dem Thema hochautomatisiertes Fahren (Level 4 gemäß AFGBV (Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs- und Betriebs-Verordnung)) im öffentlichen Verkehr (ÖV), das sich von der Vision hin zur praktischen Realität entwickelt. In Kurzvorträgen wurden aktuelle Entwicklungen, Pilotprojekte und erste Betriebserfahrungen beleuchtet.
KIRA
Das Projekt KIRA (KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre) ist ein innovatives Forschungs- und Pilotvorhaben in Deutschland, das sich mit dem Einsatz hochautomatisierter Fahrzeuge (Level 4) im öffentlichen Nahverkehr beschäftigt. Ziel ist es, erstmals einen regelhaften, autonomen On-Demand-Betrieb mit echten Fahrgästen im Straßenverkehr zu erproben. Finanziert wird KIRA vom Bundesministerium für Verkehr (BMV) sowie vom Land Hessen (Laufzeit Dezember 2022 – Dezember 2025).
Im Rahmen des Projekts kommen sechs hochautomatisierte Shuttles zum Einsatz. Das bedeutet, die Fahrzeuge können innerhalb eines festgelegten Gebietes selbständig navigieren, ohne dass ein Mensch aktiv eingreifen muss – auch wenn im aktuellen Testbetrieb zur Sicherheit noch ein Operator an Bord ist. Der Betrieb findet in realen Umgebungen statt, unter anderem in Langen, Egelsbach und seit 2025 auch in den nördlichen und westlichen Stadtteilen von Darmstadt. Mit der Erweiterung des Betriebsbereichs sind die sechs hochautomatisierte Fahrzeuge erstmals in einer Großstadt unterwegs. Zu den zentralen Orten in Darmstadt, die angefahren werden, zählt u. a. der Hauptbahnhof.
Das Projekt KIRA setzt auf das Fahrsystem Mobileye Drive™, das mithilfe von Kamera-, Radar- und Lidar-Sensoren sowie intelligenten Umgebungsdaten arbeitet. Ein mathematisches Sicherheitsmodell sorgt dabei für ein zuverlässiges Regelwerk im hochautomatisierten Fahrbetrieb. Eingesetzt wird der NIO ES8, ein Elektrofahrzeug mit rund 400 km Reichweite, das komplexe Verkehrssituationen bewältigen und mit bis zu 130 km/h autonom fahren kann. Im KIRA-Testbetrieb bietet das Fahrzeug drei Sitzplätze für Fahrgäste.
KIRA kombiniert den hochautomatisierten Betrieb mit einem On-Demand-System: Die Fahrgäste buchen ihre Fahrt per App, ähnlich wie bei einem Sammeltaxi oder Ridepooling-Dienst. Dieses flexible Konzept soll insbesondere in weniger stark erschlossenen Gebieten den öffentlichen Verkehr ergänzen. Neben der technischen Erprobung geht es auch darum, Nutzerverhalten und Akzeptanz zu analysieren. Über 1.000 Testpersonen haben sich bislang registriert, die Bewertungen der Fahrten sind mit durchschnittlich 4,5 von 5 Sternen sehr positiv ausgefallen.
Die weitere Marktentwicklung steht vor verschiedenen Herausforderungen, wie Fahrzeugverfügbarkeiten (unzureichende Fahrzeuggrößen und fehlende Anbieterpluralität) sowie hohen Kosten aufgrund der Prototypen-Fahrzeuge und mangelnde Erfahrungen, bietet aber auch zahlreiche Mehrwerte. So können für Kunden attraktive Mobilitätsangebote für und mit Bürgerinnen und Bürgern entwickelt und mögliche Effekte unter realen Bedingungen nachgewiesen werden. Mehrwerte für die Wirtschaft, Bund und Länder sind u.a. die Generierung einer planbaren Nachfrage nach hochautomatisierten Fahrzeugen für die Automobilindustrie, die Reduktion von Kosten für Fahrzeuge und Betrieb durch Erfahrungen und Skaleneffekte.
Langfristig soll KIRA als Beispielprojekt für andere Städte und Regionen dienen. Das Ziel ist, hochautomatisierte Fahrzeuge fest in den öffentlichen Nahverkehr zu integrieren – vor allem in Gegenden, in denen herkömmliche Verkehrslösungen zu teuer oder nicht praktikabel sind.
Entwickelt und umgesetzt wird das Projekt von einem Konsortium unter der Leitung von DB Regio Bus Mitte. Zu den weiteren Projektpartnern zählen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Köln, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV). Ergänzt wird das Konsortium durch mehrere assoziierte Partner, darunter der Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH (RMV) in Hofheim, die HEAG mobilo GmbH aus Darmstadt, die Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach mbH (kvgOF) in Dietzenbach sowie die Deutsche Bahn AG (DB AG).
ALIKE
Das Projekt ALIKE („Autonomes Ridepooling für Hamburg“) ist ein vom Bundesministerium für Verkehr gefördertes Modellvorhaben mit der Laufzeit von 2024 bis 2026, das den Einsatz hochautomatisierter, elektrisch betriebener Ridepooling-Fahrzeuge im urbanen Raum erprobt. Ziel ist es, hochautomatisiertes Fahren im öffentlichen Verkehr unter realen Bedingungen zu testen und langfristig als festen Bestandteil des Mobilitätssystems zu etablieren. Im Hamburger Stadtgebiet entsteht dafür ein etwa 37 km² großes Testgebiet, das sich vom Stadtpark bis zur Elbe und vom Schlump bis nach Wandsbek erstreckt. Dort sollen ab 2025 bis zu 20 hochautomatisierte Fahrzeuge in den Betrieb gehen. MOIA testet bereits hochautomatisierte Shuttles ohne Fahrgäste in Hamburg. Ab Ende 2025 sollen erste Fahrgäste mitfahren dürfen. HOLON startet Testfahrten mit seinen Fahrzeugen ab Herbst 2025. Fahrten mit Fahrgästen plant die HOCHBAHN ab 2026. Während des gesamten Projekts ist stets eine Sicherheitsfahrerin oder ein Sicherheitsfahrer an Bord.
Zum Einsatz kommen zwei unterschiedliche Fahrzeugtypen: der vollelektrische ID. Buzz AD von MOIA mit Platz für bis zu vier Fahrgäste sowie der barrierefreie HOLON Mover, der bis zu 15 Personen befördern kann. Alle Fahrzeuge sind mit moderner Sensorik und KI-Systemen ausgestattet und sollen über eine App flexibel buchbar sein. Neben der technologischen Umsetzung liegt ein besonderer Fokus auf der Barrierefreiheit, etwa durch Rampen, Rollstuhlplätze sowie visuelle und akustische Assistenzsysteme.
Das Bedienkonzept beinhaltet einen entgeltfreien Testbetrieb mit definierten Bedienzeiten und Haltepunkten. Der Realbetrieb mit Testgruppen erfolgt mit einer geschlossenen Nutzergruppe. Der Service ist dabei sowohl über die MOIA App als auch die hvv switch App buchbar. Das Projekt wird durch eine Begleitforschung ergänzt. Untersuchungsschwerpunkte sind unter anderem die gesellschaftliche Akzeptanz, Verkehrsmodellierung, Betriebsabläufe und Übertragbarkeit auf andere Städte.
Beteiligt sind die Hamburger Hochbahn als Konsortialführer und der Ridepooling-Anbieter MOIA als Betreiber, die Fahrzeughersteller Holon aus Paderborn und Volkswagen Nutzfahrzeuge, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) für die Begleitforschung, die Stadt Hamburg in der Projektbegleitung sowie die Hamburger Mobilitätsapp hvv switch.