Aus unserem BLOG • Von Marcel Sonntag / Michaela Wacker, innocam.NRW • Dezember 2022

innocam.NRW veröffentlicht Studie zu rechtlichen Fragestellungen des hochautomatisierten Fahrens

Um den Akteuren des Netzwerks eine Hilfestellung im Umgang mit der neuen Gesetzgebung zum hochautomatisierten Fahren zu geben, hat innocam.NRW eine Studie beauftragt. Anhand von drei konkreten Use Cases bereitet die Studie die Anwendung der gesetzlichen Vorgaben auf, identifiziert Regelungslücken und erörtert die Implikationen für die Haftung.

Für den Übergang von der Pilotphase mit einzelnen automatisierten Fahrzeugen hin zu Serienanwendungen im SAE Level 4 ist die ordnungsgemäße Betriebserlaubnis und Betriebsbereichsgenehmigung dieser Fahrzeuge unabdingbar. Deutschland hat hier eine Vorreiterrolle in Europa eingenommen und jüngst die dafür notwendige Gesetzeslage geschaffen: am 28.07.2021 trat das Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft und am 30.06.2022 wurde die zugehörige Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (AFGBV) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Aller Anfang ist schwer

Die Herausforderung bei einer derart neuartigen Gesetzeslage liegt klar auf der Hand: die Akteure haben noch keine Erfahrung im konkreten Umgang mit dem aktuell gesteckten juristischen Rahmen und können auch nicht auf Erfahrungswerte anderer zurückgreifen. In diesem Kontext benötigen die Akteure sowohl grundsätzliche Informationen zum Hintergrund der Gesetze und den involvierten Instanzen als auch eine aufschlussreiche Interpretation der Gesetzeslage aus technischer Perspektive. Ersteren Bedarf melden vornehmlich Kommunen und Verkehrsbetriebe an, die eine Einschätzung dazu benötigen, welchen Aufwand die Einführung automatisierter Systeme im ÖPNV mit sich bringt. Die technische Interpretation ist dringliches Anliegen der Wissenschaft sowie von Unternehmen, die in der Entwicklung des automatisierten Fahrens tätig sind. Nicht zuletzt herrschen bei vielen Akteuren Unklarheiten bezüglich der Haftungsfrage.

Anschaulichkeit und Konkretisierung waren gefragt

Um dies gebündelt aufzuarbeiten, hat innocam.NRW Udo Steininger von der TÜV SÜD Rail GmbH beauftragt, Licht ins Dunkel zu bringen. Der Auftrag beinhaltete neben der Erstellung des Studienberichts auch die Durchführung eines Train-the-Trainer-Workshops, um interessierte Akteure genau dort abzuholen, wo sie mit ihren konkreten Bedarfen stehen.
Das innocam.NRW Mobility Meeting bot am 24.11.2022 im Atrium des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW den passenden fachlichen Rahmen, erste Studienergebnisse vorzustellen. Die hier diskutierten akuten Fragestellungen wurden aufgenommen und im finalen Bericht noch berücksichtigt.

Die Studie stellt auf eine hohe Anschaulichkeit ab: nach einer allgemeinen Einführung wird zur optimalen Adressierung der genannten Zielgruppen die Gesetzeslage anhand drei expliziter Use Cases interpretiert. Sie umfassen den Erprobungsbetrieb automatisierter Fahrzeuge, den Regelbetrieb von People Movern und zur Abgrenzung den Regelbetrieb von Goods Movern. Auch die Haftungsfrage wird unter die Lupe genommen und ein Ausblick auf Bereiche gegeben, die in der Gesetzeslage noch nicht eindeutig geregelt sind.

Die Studienergebnisse im Überblick

Die detaillierten Ergebnisse sind dem Studienbericht zu entnehmen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Gesetz zum autonomen Fahren unter anderem Folgendes regelt:

  • Technische Anforderungen an Bau, Beschaffenheit und Ausrüstung von Kfz mit autonomen Fahrfunktionen
  • Prüfung und Verfahren für die Erteilung einer Betriebserlaubnis durch das Kraftfahrtbundesamt
  • Pflichten der am Betrieb beteiligten Unternehmen und Personen
  • Datenverarbeitung beim Betrieb
  • (Nachträgliche) Aktivierung automatisierter und autonomer Fahrfunktionen bereits typgenehmigter Kfz
  • Erprobung von automatisierten und autonomen Kfz

Die AFGBV führt ergänzend das dreistufige Genehmigungsverfahren ein. Damit erteilt das Kraftfahrtbundesamt die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug, ein festgelegter Betriebsbereich wird durch die nach Landesrecht zuständige Behörde erteilt und die Zulassung zum Straßenverkehr erfolgt durch die Zulassungsbehörde. Zudem wird darin unter anderem die Typprüfung auf Basis von Simulationen, Fahrmanövern auf Prüfgeländen und Fahrtests im realen Verkehr definiert.

Mit Blick auf den Erprobungsbetrieb ist als wichtiges Detail festzuhalten, dass zur Erteilung der Erprobungsgenehmigung für das Kraftfahrzeug eine Einzel- oder Typgenehmigung vorliegt und nach Erteilung der Einzel- oder Typgenehmigung Veränderungen vorgenommen worden sind, um es mit automatisierten oder autonomen Fahrfunktionen auszustatten. Hier ist eine Regelungslücke festzustellen, weil unklar ist, wie mit Erprobungsträgern zu verfahren ist, die speziell für automatisiertes oder autonomes Fahren aufgebaut und an denen nicht nachträglich entsprechende Veränderungen vorgenommen wurden.
Was den Regelbetrieb angeht, ist auffällig, dass in der AFGBV die zu erreichenden Sicherheitsanforderungen abweichend zum bisherigen Grundsatz in der StVZO formuliert sind. Die AFGBV definiert dieses sehr streng und weicht damit auch von einem Ergebnis der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren ab.

Beim Thema Haftung kommt die innocam.NRW-Studie zu dem Schluss, dass sich die bewährte Kombination aus Halter- und Herstellerhaftung und Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Halters grundsätzlich nicht ändert, eine Haftpflichtversicherung für den Halter bleibt weiterhin zwingend erforderlich. Die Praxis und ggfls. die Rechtsprechung werden zeigen, ob und – wenn ja – wie sich die Relation zwischen Halter- und Herstellerhaftung ändert und wie die Beweisfrage geklärt wird.