
Aus unserem BLOG • Von David Haberle, innocam.NRW • Februar 2025
Nachbericht zum innocam.STAMMTISCH „Automatisierter ÖPNV“
Unser Stammtisch am 29. Januar widmete sich dem automatisierten ÖPNV. Thomas Schmeckpeper von der Rupprecht Consult – Forschung & Beratung GmbH war als Gastvortragender eingeladen und stellte Multi-Stakeholder-Ansätze bei der Einführung innovativer Mobilitätslösungen vor. Dafür wurden zwei Projekte vorgestellt, in der die Umsetzung automatisierter und vernetzter öffentlicher Verkehrsdienste von Rupprecht Consult wissenschaftlich begleitet wurden. Im Fokus der anschließenden Diskussion standen jedoch genehmigungstechnische Hürden für die Überführung in einen Dauerbetrieb sowie wichtige Aspekte für deren Bewältigung und Vermeidung.
Rupprecht Consult entwickelt Mobilitätsstrategien, führt Mobilitätsmonitoring durch und begleitet Demonstrationsprojekte auf europäischer Ebene. Schwerpunkte sind die Analyse von Rahmenbedingungen, Governance- und Beteiligungsstrukturen sowie Fragestellungen zur gesellschaftlichen Akzeptanz. Auf dieser Erfahrung basierend hat Rupprecht Consult nun erstmals in Deutschland zwei Mobilitätsprojekte begleitet und bei unserem Stammtisch vorgestellt.
Projekt ALBUS – Integration von drei automatisierten Linienbussen in der Region Hannover
Das Projekt ALBUS untersucht die Integration automatisierter Fahrzeuge in den öffentlichen Nahverkehr. Es ist eines der ersten nationalen Projekte zur Integration von Level-4-Bussen in den Regelbetrieb und wird in der Region Hannover umgesetzt. Die erste Praxisphase soll noch Anfang 2025 mit der Erprobung eines Level-4-Busses in der Stadt Burgdorf über einen Zeitraum von zehn Monaten beginnen. In weiterer Folge sollen drei Level-4-Busse in den Linienverkehr der Region Hannover integriert werden. Für die erste Phase ist der Einsatz eines Busses vorgesehen, der seit 2022 in Stavanger (Norwegen) im automatisierten Betrieb und selbst bei Schneefahrbahn fahrfähig ist. Ein Video zum Einsatz in Norwegen können Sie hier ansehen.
Die Testphase soll Erkenntnisse in folgenden Bereichen liefern:
- Fahrverhalten des Fahrzeugs
- Kommunikation mit den Passagieren
- Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmenden
- Persönliche Wahrnehmung und empfundene Stresslevel der Passagiere
Rupprecht Consult führt dabei die wissenschaftlichen Begleitstudien zu gesellschaftlicher Akzeptanz, Umwelt- und Verkehrseinflüssen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen durch. Das Unternehmen übernimmt zudem die Öffentlichkeitsarbeit, in der ursprünglich zwei Umfragen im Einsatzgebiet sowie ein begleitender „Bürgerrat“ geplant waren. Weitere Beteiligte sind OEMs, Zulieferbetriebe und das Berufskolleg Burgdorf. Die Ergebnisse werden über Presse, Medien und Fachpublikum kommuniziert. Doch noch vor der ersten Testphase stieß man auf genehmigungstechnische Hürden, die zu einem verzögerten Start führten und neue Auflagen zur Konsequenz hatten. Das Projekt wird somit anders als ursprünglich geplant mit einer geschlossenen Testpassagiergruppen anstelle der offenen Beteiligung und Begleitung durch einen Bürgerrats durchgeführt.
Projekt sprinti On-Demand Service
sprinti ist ein On-Demand-Service in der Region Hannover, der sowohl Punkt-zu-Punkt Verbindungen als auch Zulieferfahrten an das städtische ÖPNV-Netz anbietet. Das Projekt wurde 2023 mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet und das Angebot über eine App genutzt. Hier wurde als Begleitforschungsprojekt das Verhalten der Fahrgäste analysiert, insbesondere auch während der Nutzung. Im Vergleich zum Linienverkehr in größeren Bussen stellte sich im sprinti eine hohe Bereitschaft zur Interaktion und Bildung sozialer Kontakte heraus. Dementsprechend zeichnet sich der Service von sprinti durch ein hohes Maß an Akzeptanz aus
Diskussion
In der anschließenden Diskussionsrunde interessiert sich das Publikum vor allem für die Herausforderungen im Genehmigungsprozess, die zu Verzögerungen im Ablauf des Projekts ALBUS geführt haben.
Da es bereits Vorbilder für Erprobungsgenehmigungen von automatisiert fahrenden Bussen gibt, lag es für einige Teilnehmende nahe, dass man sich von Seiten des Anbieters der Level-4 Automated Driving Software auf eine vereinfachte Zulassung auf Basis der bereits in Norwegen berücksichtigten Normen und dort gemachten Erfahrungen verlassen könnte.
Daraufhin ergänzten andere Teilnehmende, dass wesentliche Bedingungen für die Genehmigung des automatisierten Fahrsystems (ADS) vollautomatisierter Fahrzeuge europäisch geregelt sind und damit auch innerhalb der EU übernommen werden können. Oft sind aber weitere Aspekte maßgeblich, die rein national bestimmt werden, weshalb in den jeweiligen Ländern individuelle Genehmigungsprozesse durchlaufen werden müssen. Kommentar und Quellen finden Sie in Fußnote A
Die Teilnehmenden äußerten gleichzeitig auch Verständnis für strenge Voraussetzungen, insbesondere für die allgemeine Betriebsgenehmigung. Um automatisierte Systeme zukünftig einfacher in den regulären Linienverkehr integrieren zu können und um die Akzeptanz zu steigern, sei es umso wichtiger, auf bereits etabliertem Know-How aufzusetzen.
Ausblick und Learning
Das eigentliche Ziel der angestrebten Integration in den fließenden öffentlichen Linienverkehr konnte im Projekt ALBUS noch nicht realisiert werden. Statt der angestrebten Betriebsgenehmigung für den Regelbetrieb wartet man im Projektkonsortium zunächst auf die Erprobungsgenehmigung, die man noch im 1. Quartal 2025 erhofft zu erhalten.
Die Erfahrungen der Projektbeteiligten zeigen, dass oft Unsicherheit oder Unkenntnis über bestehende Bestimmungen und Genehmigungsprozesse herrschen, die man bereits frühzeitig in der Projektkonzeption und Zeitplanung berücksichtigen muss. Wissensträger wie innocam.NRW und viele Verbände und Akteure, die am Stammtisch teilgenommen haben, spielen dabei eine wichtige Rolle, um bestehendes Wissen für zukünftige Vorhaben bereit zu stellen und innovative Mobilitätsvorhaben dadurch effizienter und erfolgreicher zu machen.
Sie haben ein anderes spannendes Projekt oder Studienergebnisse, die Sie gerne bei einem Stammtisch vorstellen möchten, oder Sie würden gerne mehr über ein Thema oder eine Fragestellung erfahren? Dann melden Sie sich einfach info@innocam.nrw, wir freuen uns über Vorschläge und Ideen!
Video-Mitschnitt des Vortrags
[Fußnote A] Die entsprechende Gesetzgebung auf EU-Ebene kann man in der Verordnung VO 2018/858 nachlesen, ergänzt durch die delegierten Rechtsakten 2019/2144 bzw. 2022/1426. Einen guten Überblick zur nationalen Gesetzgebung erhalten Sie in unserer Studie „Rechtliche Fragestellungen des automatisierten Fahrens“ sowie in der Nachschau unseres innocam.STAMMTISCH zum Thema Autonomes Fahren – Status Quo und Wissenswertes – innocam.NRW. Darin wird aufgeschlüsselt, wie auf Grundlage der Anpassungen im Straßenverkehrsgesetz (StVG) in 2021 der Rechtsrahmen durch die in 2022 in Kraft getretene AFGBV (Autonome Fahrzeuge Genehmigungs und Betriebs Verordnung) komplettiert und die Anwendbarkeit der StVG-Vorschriften ermöglicht wird. Das Kraftfahrtbundesamt erteilt dabei Erprobungsgenehmigungen und nationale Betriebserlaubnisse für Kraftfahrzeuge mit autonomer Fahrfunktionen.