Aus unserem BLOG • Von Tobias Hardes, SICP – Software Innovation Campus Paderborn • September 2023

Platooning für die Innenstadt

Platooning ist eine vielversprechende Lösung für diverse Verkehrsprobleme wie Ressourcenverbrauch auf Autobahnen. Tatsächlich sind eine Vielzahl heutiger Verkehrsprobleme wie Emissionen, Lärm oder Staus aber insbesondere im urbanen Raum zu finden. Aus diesem Grund beschäftigt sich die aktuelle Forschung damit, wie das Konzept des Platooning auch in die Innenstädte übertragen werden kann. Hierbei treten jedoch viele technische und organisatorische Herausforderungen auf, die gelöst werden müssen, um das enorme Potenzial von Platooning auch in diesem Kontext voll ausschöpfen zu können.

Prognosen gehen davon aus, dass die Bevölkerung in städtischen Gebieten weiterwachsen und sich bis zum Jahr 2045 mehr als verdoppeln wird1, wodurch sich die oben genannten Probleme noch verschärfen werden. Weitere Studien2, 3 prognostizieren Anstiege des Verkehrsaufkommens um bis zu 90% zwischen den Jahren 2010 und 2050. Nach Angaben der Europäischen Kommission ereignen sich die meisten tödlichen Unfälle auf Landstraßen (55 %) und auf städtischen Straßen (37 %), was zeigt, wie wichtig es ist, die Verkehrssicherheit in diesen Gebieten zu verbessern.‘

Platooning – Von der Autobahn in die Innenstadt

Platooning ist eine Anwendung im Bereich vernetztes und automatisiertes Fahren, welches die oben genannten Probleme zu lösen verspricht. Die Idee hinter Platooning ist, dass computergesteuerte Fahrzeuge einen Konvoi (ein Platoon) bilden und sich koordiniert bewegen. Der drahtlose Austausch von Information zwischen den Fahrzeugen ist dabei essenziell. Funktioniert die Kommunikation zuverlässig können Fahrzeuge im Platoon einen Abstand von nur wenigen Metern bei typischen Geschwindigkeiten auf einer Autobahn halten, ohne dass ein Sicherheitsproblem besteht. Spezifische Merkmale urbaner Gebiete sind also nicht grundsätzlich bei der Entwicklung von Protokollen zum Datenaustausch, Algorithmen zur Steuerung der Fahrzeuge usw. berücksichtigt worden.

Im Allgemeinen haben die städtischen Gebiete deutlich andere Merkmale wie typische Autobahnszenarien und sind durch spezifische Herausforderungen für einen möglichen Einsatz von Platooning gekennzeichnet. Ein Beispiel für solche Besonderheiten sind komplexe Straßentopologien und eine Vielzahl von Funkhindernissen, die z.B. durch Gebäude oder parkende Fahrzeuge, Bäume und andere Objekte entstehen können. Ein Hauptunterschied liegt im Vorhandensein von Kreuzungen, sowohl mit als auch ohne Ampeln. Ampelgeregelte Kreuzungen sind in der Tat ein Nadelöhr des heutigen Stadtverkehrs. Obwohl sie die Sicherheit verbessern, verursachen sie auch Verzögerungen, insbesondere beim Start der nächsten Grünphase, wenn Fahrzeuge anfangen zu beschleunigen.

Hier zeigt aktuell die Forschung4, dass urbanes Platooning einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Verkehrsflusses und der Schadstoffemission leisten kann. Wenn sich vor einer roten Ampel Fahrzeuge ansammeln, die nicht kooperativ fahren, entsteht bei der nächsten Grünphase ein sogenannter Ziehharmonika-Effekt: Das erste Fahrzeug beschleunigt, das zweite mit einer leichten Verzögerung, das dritte gegebenenfalls wieder mit einer Verzögerung und so weiter. Die Abstände zwischen den Fahrzeugen werden größer (auch aufgrund des Sicherheitsabstandes) und die effektive Auslastung der Straße sinkt. Sind Fahrer abgelenkt und reagieren z.B. nicht zeitnah auf die Grünphase, wird dieser Effekt noch verstärkt.

Abbildung 1 – Ziehharmonika-Effekt: Durch Menschen gesteuerte Fahrzeuge reagieren mit Verzögerung und müssen einen Sicherheitsabstand einhalten. Ein Platoon fährt ähnlich wie ein Zug mit minimalen Abständen über die Kreuzung. © Tobias Hardes, 2023

Befinden sich die Fahrzeuge hingegen in einem Platoon und fahren kooperativ und koordiniert bei der Grünphase los, bleibt der Abstand zwischen den Fahrzeugen identisch bei wenigen Metern. Statt einzelner Fahrzeuge fährt das Platoon, ähnlich wie ein Zug, als Ganzes über die Kreuzung. Dadurch wird der Durchsatz der Kreuzung gesteigert, was zu kürzeren Reisezeiten und auch zu weniger Schadstoffimmissionen führt.

Kommunikation zwischen Fahrzeugen im Platoon – eine Herausforderung für urbane Gebiete

Dieser Vorteil kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn die drahtlose Kommunikation zwischen den Fahrzeugen zuverlässig funktioniert. Ist das nicht der Fall, wird dies unweigerlich zu Fahrzeugkollisionen und somit einem Sicherheitsproblem führen. Bedingt durch Gebäude und andere Objekte, die drahtlose Signale abschalten, lassen sich Konzepte von Platooning auf Autobahnen nicht direkt übertragen.

Aktuelle Forschung5 verfolgt verschiedene Richtungen, um dieses Problem zu lösen. Eine Lösung ist beispielsweise die Front- und Rückleuchten zu nutzen, um ein Signal auf das Scheinwerferlicht zu modellieren. Da die Fahrzeuge in einem Platoon immer in einer Reihe fahren bestehen in der Regel keine Hindernisse, die das Signal abschalten können. Studien6 haben gezeigt, dass dieses Verfahren durchaus praktikabel ist, aber an seine Grenzen stößt, wenn Fahrzeuge beispielsweise um enge Kurven fahren.

Abbildung 3 – Gebäude und andere Hindernisse beeinträchtigen die
Kommunikation zwischen Fahrzeugen im Platoon oder auch zwischen
verschiedenen Platoons. © Tobias Hardes, 2023

Hier ist die Ausrichtung der Fahrzeuge nicht mehr gegeben und Kommunikation ist nicht mehr zuverlässig möglich. Andere Verfahren setzen auf ein stark gerichtetes Funksignal, um explizit das entsprechende Fahrzeug im Platoon mit Informationen versorgen zu können.

Innovationen treiben – Potenziale durch Wissenstransfer heben

Um genau solchen Fragestellungen zu begegnen, ist Wissenschaftstransfer essenziell. Dazu gibt es bereits verschiedene Plattformen wie innocam.NRW oder die neue vom BMKW geförderte Plattform DiSerHub.

Obwohl die Idee des Platooning seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv entwickelt wird, sind noch einige Fragen offen. Aktuelle Forschung ist jedoch bestrebt, diese Fragen zu beantworten und Platooning Wirklichkeit werden zu lassen: Es wird dann vermutlich unsere Vorstellungen vom Autofahren und der Mobilität völlig verändern.

Referenzen:
[1] J. L. Hopkins and J. McKay, “Investigating “anywhere working” as a mechanism for alleviating traffic congestion in smart cities,” Elsevier Technological Forecasting and Social Change, vol. 142
[2] https://www.adlittle.com/en/insights/viewpoints/future-mobility-30
[3] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1474034621000963
[4] https://www.thardes.de/bib/hardes2019formation/
[5] https://www.thardes.de/bib/hardes2019communication
[6] https://www.tkn.tu-berlin.de/bib/memedi2017impact/ // https://www.thardes.de/bib/hardes2023improving/