Aus unserem BLOG • Von Eva König, Institut für Flugsystemdynamik (FSD) der RWTH Aachen University• August 2024

UPDATE: Forschungsprojekt FlutNetz – Medizinische Notversorgung von Flutopfern in Bangladesch per Flugsystem

Unzählige Flutopfer durch lebensrettende Sofortmaßnahmen vor dem Tod bewahren: Dazu untersuchte das Institut für Flugsystemdynamik (FSD) der RWTH Aachen im Forschungsprojekt FlutNetz, wie durch den Einsatz eines unbemannten Flugsystems die medizinische Versorgung von Flutopfern in abgelegenen Gebieten verbessert werden kann. Auf Abruf das Flugsystem starten und es vollautomatisiert in ein überflutetes Gebiet fliegen zu lassen und dort die Menschen mit dringend benötigten Notfallmedikamenten zu versorgen – bald schon kein Zukunftstraum mehr?

Medizinische Versorgung bei Überschwemmungen sicherstellen

Naturkatastrophen wie Überschwemmungen betreffen weltweit Millionen Menschen. Die Anzahl und Schwere der Überschwemmungen wird Prognosen zufolge aufgrund der Erderwärmung ansteigen und auch weiterhin sehr viele Todesopfer mit sich bringen. Die häufigsten Todesursachen während der Flutereignisse sind das Ertrinken und Vergiftungen in Folge von Schlangenbissen. In Bangladesch sterben jährlich etwa 6000 Menschen durch Schlangenbisse, die vor allem während Überflutungen zu verzeichnen sind, da sich Tiere und Menschen in solchen Situationen auf engstem Raum konzentrieren.

Risikogebiet Bangladesch – besonders häufig betroffen durch schwere Regenfälle und Überschwemmungen I © Occasione Documentaries, Oliver G. Becker

Durch die beeinträchtige Infrastruktur kann die medizinische Versorgung nicht mehr aufrechterhalten und die Menschen in abgeschiedenen Regionen nicht mehr mit benötigten Notfallmedikamenten versorgt werden. Ein unbemanntes Flugsystem (engl. Unmanned Aerial System, UAS) kann die medizinische Notversorgung während der Flutsaison sicherstellen, indem es zum Beispiel Gegengift zu den Opfern bringt, wenn keine anderen Transportmittel zur Verfügung stehen. Mit diesem Projekt zielte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) darauf ab, den deutschen Beitrag zur weltweiten Verbesserung des Katastrophenrisikomanagements zu stärken und so zum Erreichen von international vereinbarten Zielen beizutragen. Das BMBF förderte das Projekt FlutNetz im Rahmen der Bekanntmachung „Internationales Katastrophen- und Risikomanagement – IKARIM“ mit dem Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ von April 2020 bis März 2024. Der Fachbereich Tropenmedizin und Public Health der Goethe-Universität Frankfurt leitet die Forschungsarbeiten, an dem das Institut für Flugsystemdynamik (FSD) der RWTH Aachen University und das Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt sowie Ministerien und Einrichtungen in Bangladesch beteiligt waren.

Aus NRW für die Welt

Für den Einsatz in Bangladesch wurde ein in Aachen entwickeltes, vollständig automatisiertes unbemanntes Kippflügelflugzeug verwendet. Das Flugsystem besitzt die Möglichkeit, seine Tragfläche zu kippen, sodass ein senkrechtes Starten und Landen sowie ein energieeffizienter Flächenflug möglich sind. Im Horizontalflug ist die Tragfläche wie bei einem konventionellen Flugzeug angeordnet und das Flugsystem kann Flutopfer in abgelegenen Gebieten auch über große Distanzen erreichen. Um über den Flutopfern schweben zu können und die Nutzlast mit Notfallmedikamenten an der gewünschten Stelle abzusetzen, wird die Tragfläche nach oben gekippt. Die in dem Projekt benötigten Anforderungen an das Flugsystem können daher mit dem ausgewählten Kippflügelflugzeug und dessen Anwendungsbereich gänzlich realisiert werden.

Medizinische Notversorgung per unbemanntem Flugsystem in Flutgebieten Bangladeschs

In enger Abstimmung mit den Behörden in Bangladesch konzipierte das deutsche Forschungskonsortium zum Projektauftakt eine allgemeine Strategie zur medizinischen Krisenbewältigung mit dem Ziel, die Versorgungstransporte zu verbessern. Auch die Erarbeitung des Flugbetriebs sowie die sichere Integration in den bestehenden Luftraum von Bangladesch waren Teil des Projekts. Hierzu gehörten unter anderem die Abstimmung mit der Flugverkehrskontrolle (engl. Air Traffic Control, ATC) sowie entsprechende Genehmigungen für den Betrieb des Flugsystems.

Intensive Erprobung im Future Mobility Park Aldenhoven

Bevor die Flüge in Bangladesch durchgeführt wurden, wurde das Flugsystem vorab am entstehenden Center for Vertical Mobility (CVM) in Aldenhoven getestet. Das bundesweit einmalige interdisziplinäre Kompetenz- und Testzentrum im Rheinischen Revier konzentriert sich auf die Forschung, Entwicklung und den Betrieb von vertikalstartfähigen unbemannten Luftfahrzeugen sowie die Vernetzung und Automatisierung von gleichzeitig betriebenen Flugsystemen und bot die geeignete Infrastruktur, um die Allwetterfähigkeit und Robustheit des Flugsystems zu erproben.


Erfolgreiche Abschlussdemonstration in Bangladesch – Punktlandungen von Aachen aus überwacht

Nach mehr als drei Jahren intensiver Forschung und Entwicklung fand im März dieses Jahres die Abschlussdemonstration in Bangladesch statt. Schauplatz war Dewanganj in der Provinz Jamalpur, eine Stadt am Brahmaputra (dem wasserreichsten Strom Asiens), die rund fünf Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Dhaka entfernt liegt und besonders stark von Flutereignissen betroffen ist.

Die Flugdemonstration zum Projektabschluss in Bangladesch lieferte wichtige Ergebnisse für das Krisenmanagement mithilfe unbemannter Flugsysteme, das auf Sicherheit und Effizienz ausgelegt ist. I © Occasione Documentaries, Oliver G. Becker

Die finale Flugdemonstration in Dewanganj war das Ergebnis monatelanger Vorbereitung und enger Zusammenarbeit mit den lokalen Projektpartnern und Behörden. Insgesamt wurden im Rahmen der Demonstration in Bangladesch 11 Flüge erfolgreich absolviert. Gestartet ist das vollständig automatische Flugsystem von einer Plattform in der Nähe des Upazila Health Complex, dem Provinzkrankenhaus von Dewanganj, und flog dann entlang seiner Flugbahn zu einer Abwurfstelle, wo das Flugsystem zentimetergenau über der Position schwebte und ein Medipack mit den benötigten Medikamenten abgeworfen hat. Eines der Highlights der Flugdemonstration war der Abwurf eines Medipacks auf Halkar Char, einer landwirtschaftlich genutzten Insel auf dem Brahmaputra ohne elektrische Versorgung und ohne Straßen. Die Verbindung zum Festland ist dort außerhalb der Überflutungszeiten nur über Boote möglich, die von dem Inseldorf erst nach einem kilometerlangen Fußweg erreicht werden können.

Dabei wurden die Flüge aus dem mehr als 6000 km entfernten Aachen gestartet, überwacht und auch der Abwurf des Medipacks gesteuert. So konnten zentrale Forschungsfragen zum vernetzten, automatisierten Fliegen auch unter den extrem anspruchsvollen Umgebungsbedingungen untersucht werden.

Nachweis erbracht – Flugsystem stellt zukunftsfähiges Potenzial für lebenswichtige Einsätze in Krisengebieten unter Beweis

Das Aachener Forschungsteam um Prof. Dieter Moormann vom Institut für Flugsystemdynamik (FSD) – Eva König und Patrick Osterloh – zeigte sich zufrieden mit der gelungenen Umsetzung vor Ort. Das komplexe Flugsystem konnte seine Leistungsfähigkeit unter realen Einsatzbedingungen und unter den neugierigen Blicken der Bevölkerung in der Krisenregion eindrucksvoll vorstellen. Hier zeigte sich das immense Potenzial dieser Technologie, wenn es gilt, insbesondere in entlegenen und schwer zugänglichen Gebieten die Menschen mit lebenswichtigen Medikamenten zu versorgen, wo es bei Überflutungen keine Transportalternative gibt und es gleichzeitig schnell gehen muss.

© Occasione Documentaries, Oliver G. Becker

Auch die breite Zustimmung vor Ort in Bangladesch verdeutlichte eindrücklich den Bedarf an solch innovativen Ansätzen, um die Notfallversorgung bei Flutereignissen zu verbessern, wie Prof. Robed Amin – Verantwortlicher für das FlutNetz-Projekt im Bangladescher Gesundheitsministerium (Directorate General of Health Services) – hervorhob: „Die positiven Reaktionen unterstreichen die Relevanz dieser Technologie nicht nur für Bangladesch, sondern auch für andere Länder und Regionen, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Angesichts des globalen Trends hin zu häufigeren und intensiveren Flutereignissen ist es dringend erforderlich, ähnliche innovative Ansätze auch in anderen Ländern zu implementieren. Durch Investitionen in Forschung und Entwicklung solcher Technologien können wir dazu beitragen, dass diese lebensrettenden Innovationen auch anderen Gemeinschaften zugutekommen.“

Automatisierung und Vernetzung der
Mobilität von morgen aktiv gestalten:
Diskutieren Sie mit im innocam.NRW-Arbeitskreis Luft!

Sie sind in der Luftfahrt, im Drohnenbetrieb oder verwandten Bereichen aktiv? Dann bringen Sie sich gerne in den jüngst initialisierten Arbeitskreis Luft ein. Die Austauschplattform widmet sich den Herausforderungen und Chancen der Advanced Air Mobility (AAM). Ziel ist es, die nahtlose Integration von Luftfahrt und automatisierter Mobilität zu fördern und gemeinsam nachhaltige, sichere und effiziente Lösungen zu entwickeln.